Beziehungsrelevante Thesen
bedeutsam für die Arbeit in komplexen Kontexten

Sozialarbeit ist Beziehungsarbeit

Neutralität und Parteilichkeit:
Wenn Du ein Systemmitglied verstanden hast,
hast Du das System noch nicht verstanden!

Es geht weniger darum, die einzelnen Personen eines Familien- oder Paarsystems zu verstehen. Bedeutsamer ist es, deren Beziehung zu verstehen.
Was spielt sich (zirkulär) zwischen ihnen ab?
Wie gestalten sie wechselseitig ihre Beziehung?
Wie werden diese zu Mustern mit welchen Verstärkern?

Legst Du daher den Fokus darauf, die Beziehung zu betrachten und zu verstehen, bleibst Du neutral gegenüber den Gesamtsystem und allparteilich gegenüber jedem.

Sozialarbeit ist Beziehungsarbeit: kümmere Dich weniger um die Einzelnen als vielmehr um deren Beziehungen zueinander, was nicht heißt, daß es uns egal sein sollte, wie es dem Einzelnen gerade geht. Wir arbeiten hier mit Prioritäten: primär haben wir die Beziehungsgestaltungen im Blick, mehr beiläufig die emotional-affektive Befindlichkeit der Einzelnen.

Der Erfolg von Beratung in komplexen Kontexten ist abhängig auch von der Frage, ob es gelingt, zum Familiensystem eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufzubauen.
(siehe auch die 3 Beziehungstypen: Besucher – Klagender – Kunde))

Ausführlicher komme ich auf diesen Aspekt später zurück, wenn es um das Bindungssystem geht.

Ausschlaggebend für das Beratungsergebnis sind die Ziele aller Familienmitglieder.

Wenn wir von Beginn an Wert darauf legen, in Erfahrung zu bringen, inwieweit alle Familienmitglieder die gleichen Ziele verfolgen für die sie unsere Unterstützung haben möchten, werden wir zügig zum Ziel gelangen. Das ist jedoch in der Sozialarbeit nicht die Regel. Vielmehr treffen wir auf Systeme, die gerade deshalb in der Sozialarbeit „gelandet“ sind, weil ihre Ziele zu unterschiedlich sind und die Familienmitglieder an ihre Grenze geraten, sich auf gemeinsame Ziel zu einigen. Das zu unterstützen ist nun unser Job.

Wir sollten daher frühzeitig überprüfen wer welche Ziele verfolgen möchte und die Familienmitglieder so unterstützen, daß sie für eine Zielverfolgen kooperieren können.

Eine hilfreiche Haltung ist hierbei die Umdeutung der Zielvorstellung des Einzelnen in eine Bedürfnislage umzudeuten: Du möchtest in Deiner Familie das Ziel X verfolgen und erreichen. Welches Bedürfnis würde damit gestillt? Die übrigen Familienmitglieder werden nun eingeladen, sich um das Bedürfnis zu sorgen und zu kümmern, was in der Regel angenehmer und leichter zu verfolgen ist, als der Blick auf einen Ziel-Zustand.

Das Entwickeln einer Arbeitsbeziehung ist kein Zufallsprodukt; auch nicht nur eine Frage der Chemie, sondern ein Ergebnis von Technik und Methode.

1. Autonomie und Eigensinn der einzelnen Familienmitglieder wie auch des Gesamt (Familien-) Systems.

Hier können wir mit dem Fokus der Auswirkungen arbeiten: Wenn Du mit Deinem Eigensinn (kann ja auch eine Stärke sein) weiterhin darauf beharrst, welche Auswirkungen wird das zu Deiner Beziehung zur Person X oder der Restfamilie haben?

2. Unterschiedsbildung: Unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven

Für Familien mit denen wir es in der Sozialarbeit zu tun haben, sind Unterschiede oft zu unterschiedlich. Mit ihnen wird bevorzugt in Entweder-oder-Mustern umgegangen.

Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, daß es auch Sowohl-als-auch geben könnte und wie man das Unterschiedliche miteinander nutzbar machen könnte.*

3. Ausnahmen – siehe MiniMax-Intervention Nr. 4**

4. Ressourcen, Stärken, Fähigkeiten, Erfolge

Der Sog, daß wir uns in Narrationen über Probleme und Schwierigkeiten hineinziehen lassen, ist beträchtlich. Aber wir können ja gegensteuern, weil wir wissen, wie sich der Blick und die Betrachtung wendet, wenn wir die Gespräche auf Ressourcen, Stärken, Fähigkeiten, Erfolge lenken und diesen nachgehen.

5. Aufträge

Die Zielverfolgung ist das eine, aber welche Auftragslage der Familie an mich, ergibt sich daraus. Brauchen sie nur eine „Initialzündung“ und gehen dann alleine weiter? Brauchen sie konstante Unterstützung, um am Ball zu bleiben?

6. Zielformulierungen und Lösungen

Wenn wir mit der Familie ein Ziel erarbeitet und gefunden haben, sollten wir dieses in erreichbare Teilziele operationalisieren, so daß rasch Teillösungen entstehen und damit Erfolge erlebt werden können. Das motiviert.

7. Wertschätzung der Einzelnen und des Gesamt (Familien-) Systems

Auch hier können wir eine Faustregel nutzen: Zuerst sollte das bisherige Leid ausgiebig gewürdigt werden, weil erst dann der Blick frei wird für Neues.

Wenn im weiteren Verlauf die Familie Ehrenrunden dreht (ich spreche nicht mehr von Rückfällen), habe ich es mir auf die Fahne geschrieben, die Hypothese zu überprüfen, ob es sich hierbei um eine Schutzfunktion handeln könnte. Waren wir zu schnell, habe ich sie – haben Sie sich überfordert? Besteht eine Furcht vor dem Neuen und Unbekannten? Wissen wir nicht, wenn wir den nächsten Veränderungsschritt machen, was dann aus uns wird? Und und und …

Wir glauben nicht das, was wir sehen – wir sehen vor allem das, was wir glauben.

Aufmerksamkeitsfokussierung***: Wo ich den Scheinwerfer meiner Wahrnehmung hinrichte, werde ich etwas entdecken und könnte glauben, es sei das Einzige, was es zu sehen und entdecken gäbe!

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Was siehst Du? (Auflösung gibt es übermorgen in einem Kommentar.)


Literatur

* dazu sagt der folgende Buchtitel fast schon alles: Gunther Schmidt. Liebesaffären zwischen Problem Lösung.

** Manfred Prior. MiniMax-Interventionen. 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. 2002. S. 28

*** Gunther Schmidt. Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. 2005. S. 34