Wirksame Beratungsstrategien in schwierigen Beratungskontexten

Sowohl als Teilnehmer systemischer Weiterbildungen als auch als Lehrender ist mir die Frage nach dem professionellen, also möglichst wirkungsvollen Umgang mit unfreiwilligen Klienten sehr präsent. Häufig tauchen Termini wie „Zwangskontext“, „geschickte oder nicht-motivierte Klienten“ und „Widerstand“ in diesem Zusammenhang auf. All diesen Bezeichnungen ist gemein, dass sie dem Repertoire der Defizitbeschreibungen entstammen und somit wenig Potenzial besitzen, PraktikerInnen und KlientInnen in eine von Ressourcen geprägte Begegnung zu bringen. Laut Aussage von Therapieforschern (z. B. Duncan, Hubble, Miller, 1997; Grawe 2005) ist die Qualität des Arbeitsbündnisses einer der wichtigsten Prädiktoren einer erfolgreichen Beratung bzw. Therapie. Man braucht nun kein Hellseher zu sein, um absehen zu können, dass ein Arbeitsbündnis zwischen Berater und Klient unter diesem Stern kaum keine Chance haben kann. Wenn man glaubt – und hierzu neigen systemisch orientierte Praktikerinnen – das Beziehungen zirkulär organisiert sind, dann wird der geneigte Beobachter schnell erkennen, dass Helfer, die sich oben angeführter Wirklichkeitsbeschreibungen bedienen, um die Beziehungsrealität zwischen sich und ihrem Gegenüber zu beschreiben, nicht (nur) Opfer widerständiger und unmotivierter Klienten sind, sondern gleichsam Schöpfer ebendieser Wirklichkeit, die – häufig in reinster linearkausaler Kontruktionsmanier – diesen geschickten, nicht wirklich motivierten Klienten zugeschrieben wird.

Nehmen wir allerdings das systemische Postulat der zirkulären Organisation von Beziehungen ernst, dann ergibt sich hieraus die Anforderung an den Berater, seine Beobachtung so zu organisieren, dass er handlungsfähiges Element des (Berater-Klienten-)Spiels ist und bleibt. Hierzu haben verschiedene Koryphäen der systemischen Kunst des Helfens meines Erachtens nicht nur praktikable, sondern auch wirksame Konzepte entwickelt. Diese Konzepte und unsere umfangreiche einschlägige Praxis in den Bereichen ambulante und stationäre Jugendhilfe, ambulante und stationäre Suchtberatung/-therapie und ambulante Familienhilfe haben die Gestaltung unserer Weiterbildungsprogramme in systemischer Beratung und systemischer Therapie entscheidend geprägt.

In den WMC-Rheinland-Curricula wurde dem Themenkomplex „Handlungsfähigkeit in herausfordernden Überweisungskontexten“ eine A-Priorität in der Auswahl von Lehrinhalten eingeräumt. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung, dass mehr als 90% unserer Weiterbildungsteilnehmerinnen aus Berufsfeldern kommen, in denen „schwierige“ Überweisungskontexte an der Tagesordnung liegen. Da solche Situationen in der Regel durch ein hohes Maß an Komplexität gekennzeichnet sind, wäre es vermessen, hierfür eine Anleitung oder gar ein Manual zu erstellen, da beides besagter Komplexität nicht gerecht werden könnte. Wohl wissend um die Unvollständigkeit und den fragmentarischen Charakter meiner Ausführungen, werde ich im Folgenden einige unserer Prämissen und Methoden darstellen.

Die (klassische) Ausgangslage

Werden in einschlägigen Lehrbüchern beraterische oder therapeutische Interventionen beschrieben oder andere Empfehlungen für professionelles Helferverhalten gemacht, so geht man dort meist von idealtypischen Bedingungen aus, die nahelegen, dass Überweisungskontext und Arbeitsauftrag klar und eindeutig sind und die Klientinnen bis in die Haarspitzen motiviert sind, die Ziele zu erreichen, die auch die Praktikerin für erstrebenswert hält. Diese Ausgangslage ist für den Kontext Fachbuch durchaus angemessen, schließlich geht es ja um die Vermittlung von Lehrinhalten. Und hier ist es wichtig, ein Maß an Komplexität einzuhalten, das dem Lernenden die Aufnahme besagter Information ermöglicht. Der Praxisschock erfolgt dann aber häufig auf dem Fuße, sobald man die Seiten des Lehrbuchs verlässt, und versucht, das soeben Gelernte in den Arbeitsalltag zu transportieren. Hier stellt sich dann nicht selten heraus, dass die Arbeitsbedingungen sich deutlich von denen im Lehrbuch skizzierten unterscheiden. Oder, in anderen Worten, dass es sich bei der Lehrbuchdarstellung um eine starke Vereinfachung, man könnte sogar sagen, Trivialisierung der eigenen Arbeitsrealität handelt.

Gerade in der Sozialarbeit, also jenseits des klinischen Kontextes oder außerhalb der wohltemperierten Räumlichkeiten therapeutischer Praxen weht der Wind normalerweise etwas rauer. Da machen Klienten deutlich, dass sie nicht aus freien Stücken zur Beratung kommen, oder Dritte, die als Überweiser fungieren, erwarten von uns, dass wir die Klienten dazu bringen, Dinge zu tun, die diese nicht wollen bzw. Dinge zu unterlassen, die sie weiter machen wollen. Und in manchen Fällen erfordert das sogenannte doppelte Mandat, das vielen sozialarbeiterischen Stellenbeschreibungen zugrunde liegt, dass Beraterinnen im Umgang mit ihren Klienten unterschiedliche Rollen übernehmen und den Wechsel von einer Rolle in die andere unter Umständen in kurzer Frequenz vollziehen müssen. Bei diesen Rollen handelt es sich um Hilfe/ Unterstützung einerseits und Konfrontation/ Kontrolle – meist i. S. v. Informationsweitergabe an die überweisende Instanz – andererseits.

Die Erwartungshaltung unserer Weiterbildungsteilnehmerinnen in diesem Zusammenhang konzentriert sich in der Regel auf das Erlernen einer unumstößlichen Methode, die die Klienten weder unterlaufen, noch boykottieren können.

Wir verweisen an dieser Stelle stereotyp auf das Postulat der Autonomie und des Eigensinns von Menschen und der sich daraus ableitenden Unmöglichkeit, instruktiv zu intervenieren. Dieser Hinweis hat bereits ein gewisses Maß an Ernüchterung zur Folge. Wenn wir dann noch kundtun, dass der Schlüssel für das Helferverhalten in diesen prekären Situationen auf der Beziehungsebene liegt (z. B. im Herstellen eines klaren und konstruktiven Dialogs) zeugen die Gesichter unserer Zuhörer oftmals von Enttäuschung und Skepsis. Aber, da hilft nichts – hier geht es darum, dass Helfer ihre Verantwortung übernehmen und die Verantwortung der Klienten bei ebendiesen belassen. Darüber hinaus ist es unsere Aufgabe, uns eindeutig im Sinne der Neutralität zwischen Überweiser und Klienten zu positionieren und letztere zur Kooperation einzuladen.

Während vielfältiger Supervsionserfahrungen in unterschiedlichsten Feldern der Sozialarbeit zeigte sich allerdings, dass es sich exakt hier um eine Sollbruchstelle in der Beratungsbeziehung handelt: Da übernimmt die Helferin Verantwortung, die nicht ihr sondern der Klientin obliegt, da wird mit Klienten gegen die überweisende Instanz koaliert, da wird manipulierend kommuniziert statt nötige Forderungen klar zu formulieren, Konsequenzen werden verschwiegen oder bagatellisiert, da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen und andererseits nicht gehandelt, wo gehandelt werden müsste.

Wir vom WMC-Rheinland erklären uns diese unbefriedigende Situation übrigens nicht mit mangelnder Kompetenz oder mangelndem Schneid der Kolleginnen und Kollegen. Vielmehr wissen wir, dass sie häufig unter Arbeitsbedingungen ihren Job tun, die von hohem Erwartungsdruck geprägt sind. Und nicht selten basieren die institutionellen Ergebniserwartungen auf einem mechanischen Menschenbild, das davon ausgeht, Menschen seien steuerbar, wenn man es nur geschickt genug anstellt bzw. genügend Druck ausübt.

Ein weiterer typischer Fallstrick in solchen Szenarien besteht in der Tendenz von Helfern, die Verantwortung von Klienten zu übernehmen. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Anspruch „Hilfe zur Selbsthilfe“ aufgegeben wird und Helfer versuchen, den Notstand im System durch Investition eigener Ressourcen zu kompensieren. In diesen Fällen wollen Helfer oftmals mehr als die Klienten und begeben sich damit in eine ungünstige Position innerhalb des Beratungsgeschehens. Leider führt dies meist zur Stabilisierung der Unzulänglichkeiten, weil es für die Klienten ein Signal darstellt, dass alles Erforderliche schon (durch den Helfer) geregelt wird.

Und nicht zuletzt werden Klienten und deren Frustrationstoleranz deutlich unterschätzt, was zu deren Unterforderung führt. Gleichzeitig wird so die Botschaft vermittelt, die Klienten seien nicht in der Lage, die Forderungen zu erfüllen, was häufig mit einer impliziten Abwertung einhergeht.

Wohl wissend, dass es hierzu noch vieles zu beschreiben gäbe, begnüge ich mich an dieser Stelle mit der Darstellung der Ausgangslage, um mich im weiteren Text den Aspekten zu widmen, die wir im Rahmen unserer Weiterbildung fokussieren, um der oben beschriebenen Herausforderung entgegenzutreten.

Unsere Glaubenssätze

Albert Einsteins Aussage „Wir glauben nicht das, was wir sehen, in erster Line sehen wir dass, was wir glauben“, erhält in diesem Zusammenhang eine besondere Relevanz, weil sie die Wirkung unserer Glaubenssätze prägnant beschreibt. Glaubenssätze stellen unsere grundsätzlichen Überzeugungen dar und beeinflussen damit die Interaktion zwischen uns und unseren Klienten. Und dieser Einfluss kann sowohl hilfreich als auch einschränkend sein. Glauben wir z. B. dass Klienten die Ressourcen haben, die sie brauchen, um ihre individuell passenden Lösungen zu erarbeiten, so wird diese Überzeugung unsere Beobachtung für die Potenziale unseres Gegenübers sensibel halten. Rekrutieren wir andererseits unsere Glaubenssätze aus einem problemfokussierenden Weltbild, werden wir andere, eher defizitäre Aspekte bei den Hilfesuchenden erkennen.

Beispiele für Glaubenssätze sind:

  • Wenn unsere Klienten wissen, dass wir vom Jugendamt kommen, werden sie eh´ nicht kooperieren.
  • Schwierige Symptome erfordern eine besonders lange Beratung/Therapie.
  • Alkoholiker dürfen keine Weinbrandbohnen mehr
  • Menschen sind autonom und nicht direktiv beeinflussbar, oder auch
  • Menschen sind von außen steuerbar, wenn man es nur richtig

In unseren WMC-Kursen legen wir großen Wert auf die Sichtweise, dass Glaubenssätze erst dann wahr werden, wenn wir sie wahr machen. Bis dahin sind es Beschreibungen (und damit Erfindungen) von Beobachtern, die diesen helfen sollen, sich in der Welt zu orientieren.


Experiment:

  • Finden Sie mindestens 3 Glaubenssätze heraus, die Einfluss darauf haben, wie Sie mit Ihren Klienten in Beziehung treten
  • Wie werden Sie durch diese Vor- bzw. Grundannahmen in der Arbeit beeinflusst?
  • Welche Einflüsse auf der Ebene von Glaubessätzen kennen Sie aus Ihrem Team/Ihrer Organisation.

Sozialarbeit ist Beziehungsarbeit

Mit diesem Postulat führt Johannes Herwig-Lempp (2002) ins Feld, dass a) Beziehungsarbeit ein wesentliches Element der Sozialarbeit darstellt und somit von dieser gar nicht zu trennen ist und b) „ohne eine tragfähige Beziehung zwischen Sozialarbeiterin und Klientin, so die plausible Implikation, auch keine inhaltliche Arbeit, die die „eigentliche“ Sozialarbeit ausmache, möglich [sei].“ (S. 42)

Die Bedeutung der Beziehung für den Verlauf und das Ergebnis von Beratung kann kaum überbewertet werden. Spätestens seit Watzlawick (Watzlawick et. al. 1990) wissen wir ja nun, dass jede Kommunikation ihre Bedeutung erhält durch den Kontext, in dem sie stattfindet. Und Beziehung stellt nun mal für Beratung einen hochrelevanten Kontext dar. Sie bildet sozusagen die Bühne, auf der „Beratung“ gegeben wird. Greifen wir zur Veranschaulichung dieser Aussage noch einmal auf die bereits weiter oben erwähnte (in manchen Situationen gegebene) Notwendigkeit zurück, unseren Klienten etwaige Konsequenzen für bestimmtes (Nicht-)Handeln aufzuzeigen. Ist die Beziehung zwischen Klientin und Beraterin in dieser Situation von gegenseitiger Wertschätzung und Kooperation geprägt, wird der Hinweis auf besagte Konsequenzen von der Klientin als wohlgemeinter Ratschlag entschlüsselt werden, während der absolut gleiche Hinweis der Beraterin in einer angespannten oder gar feindseligen Beziehung als Bedrohung decodiert wird. Die Reaktion der Klientin wird entsprechend unterschiedlich ausfallen.

In seinem Artikel beschreibt der Herwig-Lempp, dass eine professionelle Beziehung nicht ausschließlich ein Produkt des Zufalls oder der „Chemie“ sei; vielmehr zählt er sieben Parameter (S. 47) auf, deren angemessene Fokussierung einen aktiven und Beziehung stiftenden Beitrag der Beraterin darstellt:

  • die Autonomie und den Eigensinn,
  • die unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven,
  • die Ausnahmen,
  • die Ressourcen, Stärken, Fähigkeiten, Erfolge,
  • die Aufträge,
  • die Zielformulierungen und Lösungen,
  • die Wertschätzung der

Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden begnüge ich mich hier mit der obenstehenden Aufzählung und verweise die interessierte Leserin auf den lesenswerten Artikel von Herwig-Lempp, der die einzelnen Parameter erläutert.

Wir im WMC-Rheinland nutzen diese hilfreiche Zusammenstellung, indem wir in unseren Demonstrationen und Simulationen auf Möglichkeiten hinweisen bzw. die TeilnehmerInnen (z. B. im Rahmen von Kleingruppenaufgaben) gezielt nach Möglichkeiten suchen lassen, aus dieser inneren Haltung konkrete Systemkommentare, Fragestellungen oder andere Interventionen abzuleiten.


Experiment:

Nehmen Sie im nächsten Gespräch mit einem Klienten, den Sie als schwierig beschreiben würden, (viel- leicht erst nur probeweise) die Haltung ein, dass er gute Gründe für sein Verhalten hat, auch wenn Ihnen diese Gründe nicht bekannt sind und Ihnen das Verhalten Ihres Klienten (noch) nicht nachvollziehbar ist. Gehen Sie ferner davon aus, dass es einen Kontext gibt oder gab, in dem dieses Verhalten eine Lösung darstellt bzw. dargestellt hat. Versuchen Sie dann, gemeinsam mit Ihrem Gegenüber herauszufinden, a) welcher Kontext das sein könnte und b) welchen Preis er für die Lösung zahlt. Fragen Sie Ihren Klienten dann, ob er daran interessiert ist, mit Ihnen zusammen eine Lösung zu erarbeiten, die ebenso wirksam ist wie seine derzeitige (symptomatische) Lösung, allerdings einen weniger hohen Preis (beklagter Sachverhalt) erfordert. Sofern Ihr Klient dies bejaht, wird er Ihnen sicherlich einen Auftrag hierfür erteilen. Wenn nicht, prüfen Sie, inwiefern Sie als Person, Ihre Organisation und Ihr Unterstützungsangebot überhaupt hilfreich für den Klienten sein können.


Tit for Tat – Wie du mir, so ich dir

„Tit for Tat“ war der Name eines (von Anatole Rapoport entwickelten) Computerprogramms. Aufsehen erregte es, weil es bei einem Spielturnier sämtliche anderen Programme schlug – und das, obwohl es das kürzeste von allen war. Seine simple Strategie hieß: Beginne mit Kooperation und tue danach jeweils das, was der andere Spieler auch tut. Selbst in der zweiten Runde – als die anderen Programmierer wussten, wie Tit for Tat vorging, siegte es weiter. Dabei ging es nicht darum, den Gegner zu besiegen, sondern das Spiel möglichst lange aufrecht zu erhalten.

De Shazer (1989) und seine Mitarbeiter wandten dieses Prinzip auf die Interaktion zwischen Therapeut und Klient an: Nicht mehr der Widerstand des Klienten wurde beachtet (wie z.B. in der Psychoanalyse), sondern seine Kooperation. De Shazer ging auch nicht davon aus, die Klienten die Pflicht haben, sozusagen als Entreé ihre Kooperation unter Beweis zu stellen. Vielmehr war er der Meinung, dass es Aufgabe der Praktiker sei, einen kooperativen Auftakt zu gestalten. Kooperation ist aus systemischer Perspektive betrachtet nicht ein Verhalten eines Individuums, sondern stellt eine Spielart des Miteinanders innerhalb eines sozialen Systems dar. Somit ist Kooperation eine Aussage über die Qualität einer Beziehung.

Im WMC-Rheinland legen wir unseren Weiterbildungskandidaten die Sichtweise nahe, das TIT FOR TAT-Prinzip zu nutzen, indem wir zu einer kooperativen Eröffnung raten und anhand der Reaktion der Klienten „ablesen“ wie im jeweiligen Beziehungskontext Kooperation zu definieren ist. Hierbei halten wir es für wichtig, zu versuchen, die Welt mit den Augen der Klienten zu sehen.

Die große Aufgabe für den Helfer besteht hier darin, ggf. von der Vorgehensweise abzulassen, die die eigene therapeutische Schule vorgibt, und sich an dem zu orientieren, was der Klient tatsächlich als Kooperation erlebt. Gunthard Weber und Fritz Simon (2004) raten der Praktikerin, sich an Stellen, an denen der Beratungsprozess hakt, die Frage zu stellen, ob sie sich im Widerstand zum Denkmodell des Klienten befinden. Denn wenn man davon ausgeht, dass nicht mehr die theoretische Schule des Helfers, sondern das Weltbild des Klienten als handlungsleitendes Modell zu betrachten, wird Widerstand nicht mehr dem Klienten, sondern dem Praktiker zugeschrieben.

In unseren Kursen konfrontieren wir im Rahmen von Simulationen die Lernenden häufig mit der Aufgabe, das Weltbild (Problemsicht, Änderungsbereitschaft, Unterstützungsbedarf, attraktive Zielsetzung…) ihrer Klienten zu erforschen und erst dann zu intervenieren, wenn ihr Gegenüber ihnen bestätigt, dass ihre Ideen passen.


Experiment:

 Gestalten Sie eines Ihrer nächsten Gespräche, indem Sie versuchen Antworten auf einige der un-tenstehenden Fragen zu bekommen, und beschreiben Sie anschließend, wie sich Verlauf und Ergebnis dieses Gespräches von Ihren sonstigen Beratungsbegegnungen unterscheiden:

  • Was ist dem Klienten wirklich wichtig? Was will er? Worin besteht seine Motivation?
  • Wer oder was bewegt ihn zu uns zu kommen?
  • Wie sehr oder wenig ist er interessiert, an dem Problem zu arbeiten, dass der Überweiser be- schreibt?
  • Unter welchen Bedingungen ist er bereit, sich zu engagieren?
  • Wie muss das Ziel beschrieben werden, so dass es für ihn attraktiv ist?
  • Wie erklärt er sich das Entstehen dieses Problems, und worin würde er eine Unterstützung er- leben?
  • In welcher Weise stärkt mein Vorgehen die Hoffnung des Klienten, seine positive Erwartungs- haltung und sein Gefühl der Selbstbestimmtheit?
  • Wie fördere ich die Selbstwertschätzung, Selbstwirksamkeitserwartung und Selbstkontrolle des Klienten?

Orientierung an der Veränderungsbereitschaft der Klienten

Die Mitarbeiter des BFTC (Brief Family Therapie Center) in Milwaukee unterscheiden bezogen auf die Motivation von Klienten 3 Klassen von Beziehungstypen, die sich zwischen Klienten und Beraterinnen etabliert. Sie unterscheiden zwischen Besuchern, Klagenden und Kunden. Hierbei wird das Charakteristische für die Kundenbeziehung darin beschrieben, dass die Klienten keinen (direkten, offensichtlichen) Auftrag haben. Sie sehen entweder nicht das Problem oder sehen nicht, in welcher Weise sie am Problem beteiligt sind. Folgerichtig halten sie sich hinsichtlich ihres Engagements i. S. Lösung zurück. Wenn sie gefragt werden, weshalb sie gekommen sind, verweisen sie häufig auf den Druck der überweisenden Instanz.

In Beratungsbeziehungen vom Typ „Klagende“ betrachten Klienten sich als Leidende einer bestimmten Problematik. Allerdings beschreiben sie sich durchweg als Opfer der Dinge/Menschen und sehen nicht ihren eigenen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Problems.

Und schließlich werden Beziehungen vom Typ „Kunden“ beschrieben, in denen die Klienten nicht nur ihr Problemerleben schildern, sondern auch bereits eine Idee haben, dass sie Teil des Problems sind. Sie signalisieren eine deutliche Bereitschaft, an der Lösung zu arbeiten.

Auch wenn die Sprache in der Literatur manchmal unscharf verwendet wird, so handelt es sich hierbei nicht um Klassifizierungen der Klienten, sondern um die Beschreibung der Beziehungsqualität zwischen Berater und Klient. Da dieses Konzept an anderer Stelle ausführlich beschrieben ist, möchte ich die inter- essierte Leserin ich auf die Lektüre der Originaltexte (z. B. de Jong & Berg 1998) verweisen, und beschränke mich hier auf eine skizzenhafte Darstellung des Konzepts.

Von hohem beraterischen Wert ist diese Unterscheidung deshalb, weil sie uns eine Einschätzung der Beratungsbeziehung und damit des Arbeitsbündnisses ermöglicht, deren Bedeutung für den Beratungserfolg bereits eingangs erwähnt wurde. Darüber hinaus haben wir so die Möglichkeit, uns auf eine Weise kooperativ zu verhalten, die zur aktuellen Veränderungsmotivation der Klienten passt. So z. B. würden wir in einer Beziehung vom Typ „Besucher“ unsere Klienten nicht mit Handlungsaufgaben „belästigen“, weil diese – zumindest für den gegebenen Zeitpunkt nicht passen würden. Stattdessen würden wir ihm wertschätzende Beobachtungen mitteilen, die seinen Verantwortungssinn oder seine Weitsicht betonen. „Die Tatsache, dass Sie den heutigen Termin wahrgenommen haben, obwohl Sie lediglich auf Druck des Jugendamtes gekommen sind, zeigt mir, dass Sie Verantwortung dafür übernehmen, dass die Dinge nicht noch schlimmer werden. Haben Sie auch bereits eine Idee, woran das Jugendamt sehen könnte, dass Sie keine Beratung mehr brauchen?“ Solche und ähnliche Sprachfiguren stellen für Klienten in Besucher-Beziehungen Einladungen dar, sich mit der Beraterin in einen Dialog zu begeben.

Wir trainieren die Sensibilität unserer Weiterbildungsteilnehmerinnen für die Qualität der jeweiligen Beratungsbeziehung, indem wir sie in Simulationen den Status der Beziehung einschätzen und dann in Triaden eine angemessene Beraterreaktion entwickeln lassen.

Problem-Talk vermeiden

Von Steve de Shazer stammt der Satz: „Talking about problems creates problems – talking about solutions creates solutions. “ (Das Sprechen über Probleme führt zu Problemen – das Sprechen über Lösungen führt zu Lösungen.”) Ich möchte an dieser Stelle nicht de Shazers puristischem Vorgehen diesbezüglich das Wort reden. Vielmehr möchte ich auf die konstruktive und Beziehung stiftende Wirkung hinwei- sen, die es hat, wenn wir unsere Klienten bereits zu beginn des Gesprächs zum Einnehmen einer Lösungsphysiologie einladen. Hierzu müssen wir uns etwas disziplinieren, um nicht in unsere liebgeworde- ne Gewohnheit der Problemexploration zu verfallen. Anstatt zu Fragen: Was ist Ihr Problem? Seit wann haben Sie es, und wann ist es am stärksten?, fragen wir ganz unerwartete Dinge, wie: Was läuft in Ihrem Leben derzeit so gut, dass Sie es auf jeden Fall beibehalten wollen? Welches sind Ihre größten Fähigkeiten? Was würden Ihnen nahestehende Personen auf diese Frage antworten? Was schätzen Ihre Familie und Ihre Freund an ihnen?

Neben der Tatsache, dass diese Fragen geeignet sind, Klienten mit ihren Lösungspotenzialen in Kontakt zu geraten, werden sie sich wertgeschätzt fühlen, was wiederum erheblich zur entspannten Beratungsatmosphäre beiträgt. Während wir die Klienten einladen, über ihre Ressourcen zu berichten hören wir wach zu, um uns in späteren Phasen des Gesprächs, in der es um die Erarbeitung einer Lösung für das Problem der Klientin gehen wird, der benannten Potenziale zu erinnern und die Klientin anzuleiten, ihre Fähigkeiten auf die Arbeit an ihrer Lösung zu übertragen.

Grenzen des Machbaren

Es wäre meines Erachtens unseriös, einen solchen Text zu verfassen, ohne auf die Grenzen beraterischen Handelns hinzuweisen. In Ausführungen über systemische Therapie, Hypnotherapie, NLP und ähnlich populären Schulen werden wir derart mit Heldengeschichten überschüttet, dass es naheliegt, jeglichen Misserfolg der eignen Unzulänglichkeit zuzuschreiben.

In vielfachen Therapie- und Supervisionsprozessen musste ich jedenfalls erfahren, dass ich trotz aller Anstrengung, aller Kreativität und auch bei großer Motivation einsehen musste, dass ich eine Grenze erreicht hatte, die ich nicht zu überschreiten vermochte. In solchen Situationen besteht unsere Fachkompetenz darin, besagte Grenzen zu akzeptieren, dies mit unseren Klienten zu besprechen, so dass sie dies nicht als Ausdruck eigener Defizite interpretieren und nach geeigneten Alternativen zu suchen.

Vor allem für Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeit sehr ernst nehmen und viel in ihre fachliche Qualifikation investiert haben, ist es manchmal nicht ganz einfach zu erkennen, dass Beratung bzw. Therapie kein geeignetes Instrument zur Behebung eines beklagten Sachverhaltes darstellt. Dies gilt vor allem in Situationen, in denen es keinen Verhandlungs- und Entwicklungsspielraum mehr gibt, oder dort, wo durch unverantwortliches Handeln von Menschen (z. B. Eltern) andere, von ihnen abhängige Menschen (z. B. deren Kinder) drohen Schaden zu nehmen. Hier geht es für die Beraterin erst in zweiter Linie um Verständnis und Empathie, die oberste Pflicht besteht hier darin, die Gefahr abzuwenden, zur Not auch gegen den Willen der Klienten. Auch wenn die Realität meist zu komplex ist, um sie in Formeln auszudrücken, so wage ich doch an dieser Stelle die Gleichung: Solange die Klienten so kooperieren, dass der Schaden in nachvollziehbarer Weise reduziert oder gar abgewendet wird, ist Beratung und Unterstützung das Mittel der Wahl. Zeigen Klienten sich nicht einsichtig und nicht bereit, im Sinne der Schadensbegrenzung zu handeln, sind Kontrolle und weitere Konsequenzen angezeigt. Und auch hierzu müssen Praktiker bereit und in der Lage sein.

Literatur

Duncan M., A., Hubble B., L., Miller, S.: Jenseits von Babel. Wege zu einer gemeinsamen Sprache in der Psychotherapie. Klett-Cotta, Stuttgart 1997
Grawe, Klaus: (Wie) kann Psychotherapie durch empirische Validierung wirksamer werden. In: Psychotherapeutenjournal 1/2005, S. 4 – 11
Herwig-Lempp, Johannes: Beziehungsarbeit ist lernbar. Systemische Ansätze in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. in: Pfeiffer-Schnaupp, H.-U. (Hrsg.): Systemische Praxis. Modelle-Konzepte-Perspektiven. Lambertus Verlag
Jong, de, Peter & Berg, Insoo Kim: Lösungen (er)finden. Das Werkstattbuch zur lösungsorientierten Kurztherapie. Verlag Modernes Lernen, Dortmund 1998
Shazer, de, Steve: Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Klett-Cotta, Stuttgart 1989
Simon, F. B; Weber, G.: Rien ne va plus… in: Simon/Weber: Vom Navigieren beim Driften, S. 110 – 127, Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2004
Watzlawick, P., Beavin, J.-H., Jackson, D., D.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Para- doxien. Verlag Hans Huber, Bern, Stuttgart, Toronto 1969/1990

Anschrift des Verfassers

Lothar Hellenthal
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