Private Sprache (Selbstgespräch)
Beobachten wir Kinder im Vorschulalter beim Spielen, stellen wir fest, wie sie laut mit sich selber reden.
Piaget nannte dies die “egozentrische Sprache” (1) unter dem Aspekt, daß Kinder in diesem Alter noch nicht die Perspektive anderer übernehmen (Theory of Mind). Diese Sprache dient zunächst der begleitenden Versprachlichung von Verhalten, Handlungen, Kontingenten, Affekten, Emotionen etc.
Wygotsky (2) entwickelte das Konzept weiter, indem er darauf hinwies, daß Kinder später aus Gründen der Selbstanleitung mit sich selbst sprechen. (3) Sie beschreiben nicht nur, sondern aus einer Alter Ego Position heraus kommentieren sie die eigenen Absichten und Handlungsfolgen mit kontrollierter Aufmerksamkeit, absichtsvoller Einprägung und Wiedererinnern, Strukturierung von Planungen, Problemlösen (Das Kind baut einen Turm: “Ich nehme jetzt den roten und nicht den blauen Stein: der ist zu klein.”) und der Selbstreflexion. Je kompetenter und selbstbewußter sich das Kind entwickelt und damit Aufgaben als leichter empfindet desto mehr tritt das laute Selbstgespräch in den Hintergrund und wird zu einem internalisierten Selbstgespräch unter Einbeziehung der Umweltaspekte: jene inneren Dialoge, die wir mit uns selbst führen und die sich z. B. bei einem Mißgeschick noch einmal laut bemerkbar machen: “Mist – das hätte ich besser so und so gemacht.” Also im Ernst: Wer redet nicht schon mal laut mit sich selbst?!
Als Erwachsene nutzen wir, abgesehen von diesen spontanen Affektäußerungen, die private Sprache zur Selbstreflexion, zur Steuerung unserer Kognitionen, Affekte und Handlungen und fremdreferentiell im Stillen zum Abgleich mit der Umwelt. Selbstgespräche dienen in diesem Sinn also der Psychohygiene und der Anschlußfähigkeit an die Umwelt – man sollte sie halt sozial unauffällig führen!
Bei unseren Klienten sollten wir herausfinden, inwieweit die private Sprache noch genutzt wird wie im Vorschulalter als “egozentrische Sprache” oder wie weit sie entwickelt ist und der inneren Rückkopplung mit der Umwelt dient. Die “egozentrische Sprache” können wir uns als eine Art sprachlicher Begleitmusik der Gedanken, Affekte und Handlungen verstehen. Sie nutzt noch keine reflektierenden Aspekte, sondern beschreibt nur innere und äußere Vorgänge des Selbst.
Haben Klienten den Entwicklungsstand im Sinn von Wygotsky erreicht, können sie die private Sprache verwenden, um sich selbst zu steuern oder zu motivieren (Gedanken, Affekte, Verhalten) und in ihren Reflexionen die Umwelt und das eigene Selbst abgleichen. Das wäre nun ein bedeutsamer Entwicklungsschritt für den folgenden Aspekt:
Eingeschränkte Selbstbeobachtung – der fehlende innere Beobachter: „Selbstbeobachtung oder Introspektion bedeutet nach innen gerichtete Beobachtung. Sie dient dazu, das eigene Erleben und Verhalten zu betrachten, beschreiben und zu analysieren und kann so zu Selbsterkenntnis führen.“ (4) Viele Klienten im Betreuten Wohnen haben aufgrund ihres psychischen Entwicklungsstandes keine zuverlässige Instanz eines inneren Beobachters. Bei manchen Klienten muß man davon ausgehen, daß diese Fähigkeit der Selbstbeobachtung überhaupt nicht bzw. nicht mehr vorhanden ist.
Die Klienten sind daher nicht ausreichend fähig, Differenzen (Unterschiedsbildungen) zu ihren Umwelten, herzustellen. (5) Appelle, Hinweise, Reflexionsangebote der Betreuer werden nicht verstanden und es kann zu keinem Reentry kommen. (6) Setzen Betreuer die Versuche fort, beim Klienten „durchzudringen“, besteht ein hohes Risiko erneuter Retraumatisierung.
(1) https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOGNITIVEENTWICKLUNG/Egozentrismus.shtml
(3) Laura E. Berk. Entwicklungspsychologie. 2005. S. 30-32
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstbeobachtung; aufgesucht am 11.01.2018
(5) Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. 1993, S. 597 ff
(6) Margot Berghaus. Luhmann leicht gemacht. Köln Weimar Wien 2011, S. 43f