Trauma, Traumatisierung IV

Epigenetik

Können Traumata vererbt werden? Traumatische Erfahrungen hinterlassen in der Tat Spuren im Erbgut, die psychische Störungen bei den nachfolgenden Generationen begünstigen können. Es gibt Schalter im Genom: Die Sequenz bleibt unverändert, aber das Gen wird bevorzugt an- oder abgeschaltet. Forscher* haben zuerst an Mäusen nachgewiesen, dass Mütter nicht nur ihr Erbgut, sondern auch Spuren von Erfahrungen an ihre Nachkommen vererben. Die Ergebnisse stehen im Widerspruch zur klassischen Genetik. Sogenannte epigenetische Mechanismen ermöglichen eine Form der Vererbung, die mit der klassischen Genetik nicht zu erklären ist. Wie wird die Information im Epigenom gespeichert? Ein Mechanismus ist die DNA-Methylierung. Dabei werden kleine Moleküle an die DNA-Basen angehängt, ohne dass die Abfolge der Basen – den Buchstaben des Genoms – verändert wird. Gene können so markiert und abgeschaltet werden. Diese Art der Markierung ist chemisch sehr stabil, kann aber auch wieder durch Enzyme entfernt werden. Das Epigenom bleibt flexibel und kann jederzeit auf Veränderungen reagieren.

Epigenetik ist ein Randgebiet für unsere Arbeit sicher von nachrangiger Bedeutung. Ich erwähne es hier, um den Blick zu öffnen, wie viele Erklärungs- und Zugangsmöglichkeiten es zu den Störungen unserer Klienten und natürlich auch zu unserm eigenen Erleben und Verarbeiten gibt. Wenn wir uns immer wieder die komplexen Bedingungen (systemisch gesehen ist es ja zweifelhaft von Ursachen zu sprechen) psychischer Beeinträchtigungen vor Augen führen, sollte uns das davor bewahren, eindimensionalen Erklärungen oder Deutungen Glauben zu schenken. Bestandteil unserer Arbeit mit Menschen ist und bleibt das Spannungsfeld zwischen der Komplexität des Lebens der Klienten und unsere fortwährenden nützlichen Versuche, die Komplexität immer wieder „probeweise“ so zu reduzieren, damit wir und der Klient noch den Überblick behalten. Da kommen wir auch wieder später beim Therapeutendilemma drauf zurück.

Wenn Du Dich für Informationen zu Epigenetik und bestimmten Störungen, wie Depression, Bipolare Störung etc. interessierst, könntest Du auf dieser Seite fündig werden: https://scholar.google.de

Meine Buchempfehlung zum ersten Einlesen in das Thema:
Bernhard Kegel. Epigenetik. Wie unsere Erfahrungen vererbt werden.
Klappentext: „Das Humangenom ist entschlüsselt, doch es enthält bei Weitem nicht so viele Informationen wie erwartet. Eine zweite Ebene jenseits der Gene ist in den Fokus der Wissenschaft gerückt: die Epigenetik. Neben der Sequenz der DNA, aber in engster Verbindung mit ihr, existiert eine zweite, ja eine dritte und vierte Ebene der Information. Diese epigenetischen Programmierungen können ganze Chromosomen an- und abschalten. Sie sind es, die der Klaviatur der Gene die komplexe und unendlich vielfältige Musik des Lebens entlocken.
Bei alldem erfüllen sie eine Schanierfunktion zwischen Umwelt und Genom, als eine Art Missing Link, das die alte Debatte über die Bedeutung von Genen und Umwelt in eine neue Phase eintreten lässt. Besondere Brisanz erhalten die Erkenntnisse der Epigenetik durch die absehbaren Konsequenzen für Medizin und Evolutionsbiologie, für die großen Fragen der Lebenswissenschaften. Epigenetische Programmierfehler scheinen bei der Entstehung von Krebs eine entscheidende Rolle zu spielen. Ergeben sich daraus neue Möglichkeiten der Früherkennung und Therapie? Wie entstehen Schizophrenie und Depression? Oder auch: Wie entstehen die Variationen der Arten, eine der wichtigsten Voraussetzungen für den evolutionären Wandel, und wie werden sie vererbt?
Spannend und kompetent schildert Bernhard Kegel die weitreichenden Konsequenzen der Epigenetik. Wir werden Zeugen eines dramatischen Paradigmenwechsels in der Biologie.“


* Neuroepigenetik-Professorin Isabelle Mansuy. www.news.uzh.ch/de/articles/2018/vererbte-traumata