Bei einer Aufsicht unterscheiden wir die beiden Hirnhälften (1)

Rot: die beiden beiden Mandelkerne = Amygdala
Blau: linker und rechter PFC.

Beide Hälften sind auf unterschiedliche Funktionen spezialisiert (2):
Der linke PFC beherbergt positive (Annäherungs-) Ziele und generiert positive Emotionen.
Der rechte PFC generiert Vermeidungsziele und negative Emotionen.

Ich zitiere Klaus Grawe (3) S. 146: „Im Erwachsenenalter gehört eine laterale Asymmetrie bezüglich der spontan und situativ auslösbaren Aktivität im linken und rechten PFC zu den stabilen Persönlichkeitsmerkmalen. Bei den einen Menschen ist habituell der linke PFC stärker aktiviert und diese Personen erleben mehr positive Gefühle, bei den anderen dominiert die rechte PFC Aktivität, was begleitet ist von mehr negativen Gefühlen. Bei letzteren lassen sich auch leichter situativ negative Gefühle auslösen. Dem liegt eine größere Reagibilität (Reaktionsbereichtschaft) im rechten PFC zugrunde. Negative Erlebnisse führen als Folge davon bei Menschen mit rechtsdominanter PFC Aktivität zu stärkeren negativen Emotionen als bei linksseitig dominanten. (…) Hemmendes, vermeidendes Verhalten geht allgemein mit Aktivität im rechten PFC einher.“

Grawe führt beispielhaft die Depression an: „Bei Depressiven ist der linke PFC sowohl absolut als auch relativ zum rechten PFC unteraktiviert. Das entspreicht einem Mangel an positiven Gefühlen und der geringen auf positive Ziele ausgerichteten Verhaltensaktivität. Die Hypoaktivität (Unteraktivität) des linken PFC macht es für Depresseve schwer, ihre automatisierten negativen Emotionen und Verhaltensweisen wie negative Grübleien durch eine positive zielorientierte Aktivität zu verdrängen.“

Weitere Erkenntnisse:
Der linke PFC reagiert besonders auf Belohnung, der rechte auf Bestrafungen und aversive Reaktionen sowohl bei anderen als auch bei sich selbst.
Depressionen, bipolare und andere psychische Störungen können linkshemisphärisch zu einem synaptischen Abbau und rechts zu einer hohen neuronalen Vernetzung führen. Hebbsche Lernregel: „What fires together, wires together.“
Dieser Prozeß kann reversibel gemacht werden unter Medikation, z. B. bei Depression Serotoninwiederaufnahmehemmer, in der Kombination mit Psychotherapie, Beratung, Betreuung, Coaching.
Der Hippocampus kann als Folge dieser störungsanfälligen Entwicklung schrumpfen oder ein zu kleiner Hippocampus führte zu dieser Entwicklung. S. 150-151

Merksatz: Je ausgeprägter Ängste, depressives Verhalten und andere psychische Störungen gezeigt werden, desto weniger nützlich ist das Sprechen über die jeweilige Störung.

  1. Die beteiligte Amygdala ist schneller und stärker in ihrer Reaktion als alles Denken und alle Kognitionen und feuert, feuert, feuert.
  2. Der linke PFC mit Exekutivfunktionen und Annäherungsmodus ist geschwächt und eher vergleichbar mit einer Art Standby Modus.
  3. Der rechte PFC ist eher neuronal hoch vernetzt und überaktiv in seinem Vermeidungsmodus.
  4. Der Hippocampus mit seinem Topf für das Kurzzeitgedächtnis und in seiner Funktion als Lernorganisator arbeitet nur wenig leistungsfähig.

Merksatz: Für das Besprechen psychischer Befindlichkeiten und vermeidender Verhaltensweisen stellt der linke PFC zu wenig Verarbeitungsmöglichkeit bereit. Um diese bereitzustellen, bedarf es einer Hemmung der Aktivität des rechten PFC und eines langsamen stetigen Aufbaus des linken PFC bei gleichzeitiger Vermeidung, die übersensible Amygdala anzutriggern.

Wir fassen mit Alexaner Trost (4) zusammen:

„Die rechte Hirnhälfte entwickelt sich früher als die linke, sie ist bereits ab der Geburt rudimentär funktionsfähig, was Gestalterfassung, Gesichtserkennung, bildhaftes und emotionales, ganzheitliches Erleben angeht. Die meist dominate linke Hemisphäre ist eher für das Prozessieren von Zahlen, Sprache, Abstraktion, Logik zuständig und reift deutlich später. Beide Hinrhälften sind durch eine massive Faserstruktur, den Balken, verbunden und bilden zusammen ein vol funktionsfähiges Gehirn. Der Balken ist in hohem Maße sensitiv für chronischen Streß und kann unter solchen Bedingungen seine integrierende Aufgabe nur mangelhaft erfüllen. Daher erleben wir bei unsicher gebundenen Menschen meist eine deutliche der einen oder der anderen Erlebensweise.“


(1) Eine sehr gute Zusammenfassung findest Du in unserer Pflichtlektüre Nr. 4
(2) Sally P. Springen und Georg Deutsch. Linkes Rechtes Gehirn. Funktionelle Asymmetrien. 1998
(3) Klaus Grawe. Neuropsychotherapie. 2004. S. 146
(4) Alexander Trost. Bindungswissen für die systemische Praxis. Zeitschrift KONTEXT. Band 52. Heft 3|2021 Seite 224-242