EIne bedeutsame Aufgabe der Amygdala ist es, uns (schnelle) Reaktionen zur Verfügung zu stellen, um Gefahren abzuwehren. Klaus Grawe* bezeichnet die Amygdala als Angstzentrale mit „neuronalen Schaltkreisen der Angst“, die bei jeder Art von Bedrohung (incl. Unsicherheit) aktiviert wird. „Angstreaktionen können erworben werden, ohne jede Beteiligung des Bewußtseins.“ S. 96 Warum merkt der eine Angst und die andere nicht? Siehe auch (1): Keine Bange

Ein Beispiel: Im Unterschied zu Vögeln sind Menschen nicht zum Fliegen gemacht. Sobald man vom Erdboden abhebt, feuert (meldet sich) die Amygdala. Wahrscheinlich bei jedem Menschen. Nur die eine merkt und erlebt Flugangst und der andere nicht. Wo ist der Unterschied? Wer keine Flugangst erlebt, obwohl doch die Amygdala feuert, dessen PFC hat durch eine dichte neuronale Vernetzung die Amygdala-Impulse in neuronale Wattebäuschchen gepackt, so daß die Impulse nicht wirksam werden können. Während eines Verhaltenstherapeutischen Trainings gegen Flugangst passiert genau dieser Vorgang: Der PFC lernt, die von der Amygdala ausgehende Erregung anderer Hirngebiete, zu hemmen. S. 103

„Mit Angstgefühlen ist es genauso wie mit allen anderen neuronalen Vorgängen: je öfter sie ablaufen, desto besser werden sie gebahnt.“ S. 101 Zudem gibt es ein „Ungleichgewicht der Projektionsbahnen zwischen Amygdala und … PFC“, indem die neuronalen Verbindungen von der Amygdala zum PFC viel zahlreicher und schneller gebahnt sind, als die Verbindungen des PFC zur Amygdala. Es dürfte jeder schon erlebt haben, daß unsere affektiven Reaktionen mitunter viel schneller anspringen als wir denken können.

Kann Angst gelöscht werden? Nein. „Unbewußte Furchterinnerungen, die von der Amygdala gebildet wurden, scheinen unauslöschlich ins Gehirn eingebrannt zu sein. Sie bleiben uns wahrscheinlich ein Leben lang erhalten.“ ** Je nach konditioniertem Reiz und sobald man wieder in den Kontext zurückversetzt wird, in dem die ursprüngliche Knditionerung erfolgte, tritt die Angstreaktion in voller Stärke wieder auf. Einmal gebahnte Erregungsmster sind schnell wieder aktivierbar. Zusätzlich kann Stress ganz anderer Quellen diese Angestreaktionen noch verstärken, indem es den Betreffenden anfäliger macht für Angstreaktionen.

Der Weg der Eindämmung der Angst kann immer nur über den neuronal langsameren Weg der Hemmung durch den PFC erfolgen. Weil die der Angstreaktionen beteiligten Schaltkreise bestehen bleiben, geht es nur über den Weg, sie aktiv zu hemmen. Diese Hemmung muß vom PFC ausgehen und sozusagen trainiert werden, um jene neuronalen „Wattebäuschchen“ aufzubauen.

Merksatz: Wenn es bei einem Klienten um eine Angstreaktion (außerhalb unseres face-to-face-Beratungskontextes) geht, wird gutes Zureden oder kognitive Logik keine Wirkung zeigen. Die konditionierte Amygdala feuert so schnell und stark, daß Kognitionen (des langsameren PFC) dagegen nicht ankommen. Du kannst aber mit Deinem Klienten trainieren, d. h. üben üben üben). 

Eine hypnosystemische Technik dazu kannst Du am Beispiel des Briefkastenmannes nachlesen: https://systemische-fortbildung.de/2021/02/01/10-einheit-praxisbeispiel-i-unwillkuerliches-aufbauen

Und wir kommen darauf auch zurück bei den Klaus Grawes Wirksamkeitsfaktoren der Psychotherapie. Siehe auch schon mal bei https://psychiatrietogo.de/2012/02/04/die-5-wirkfaktoren-der-psychotherapie-nach-klaus-grawe/


  • Klaus Grawe. Neuropsychotherapie. 2004. S. 90
    ** Joseph LeDoux. Das Netz der Gfühle. 2001. S. 272

(1) Keine Bange: In einer Supervision tauchte beim Gespräch über eine Klientin mit einer Angststörung die Frage auf, ob es Menschen ohne Angst gebe: siehe Artikel im Fluter, dem Online Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung: https://www.fluter.de/keine-bange