10.1 Indikationen

Elterncoaching – Elternpräsenz statt Suchtpräsenz hat als Indikation ratsuchende Eltern, die zu Hause Jugendliche oder junge Erwachsene mit Suchtpräsenz haben und die häufig zusätzliches herausforderndes Verhalten zeigen, wie z. B. Aggressivität, Gewalt, sozialen Rückzug, Psychosen, Straffälligkeit, Schulverweigerung usw.

Ich habe für diese Problematiken im Kontext der Suchthilfe den Regenschirmbegriff „Suchtpräsenz“ geprägt.

Der befreit uns zunächst von der Notwendigkeit eine Diagnose wie „suchtkrank“ zu stellen. „Suchtpräsenz“ schließt jene mit eine, die noch keine Abhängigkeit (1) entwickelt haben, die wir jedoch für gefährdet halten.

Ratsuchende Eltern sind mit ihrem Latein am Ende. Sie haben alles versucht, Einfluß auf ihre Töchter und Söhne zu nehmen. Auch haben sie häufig schon in anderen Beratungsdiensten Rat gesucht, haben jedoch keine wirksame Hilfestellung erhalten, zumeist weil auch die Profis nicht weiter wußten: „Wenn Ihr „Max“ nicht mit in die Beratung kommt, können wir Ihnen leider auch nicht helfen.“ Bis ich dieses Elterncoaching entwickelt hatte, fühlte ich mich genauso hilflos.

„Damit Eltern zu ihren eigenen Kompetenzquellen finden können, ist es nötig, unter Berücksichtigung ihrer Selbst- und Problembeschreibungen einen >kommunikativ anschlußfähigen Verstehensrahmen< (Neurahmung, reframing (2)) zu kreieren … Wenn Eltern mit ihrem >Problemkind< in Therapie (oder Beratung; d. Verf.) kommen, erleben sie sich als gescheitert. Das heißt, die Motivation zur Therapie liegt im Befindlichkeitserleben der Eltern.“ (3) So gesehen mag es einerseits eine entlastetende Funktion haben, von professionellen Helfern gesagt zu bekommen, daß sie auch nicht weiter wissen, verschärft aber andererseits die Hilflosigkeit und das Gefühl der Ohnmacht, weil in der Aussage der Profis „Wir können Ihnen nur helfen, wenn Max mitkommt.“ der Vorwurf steckt: „Sie schaffen es nicht, ihren Max herzubringen!“.

„Um die Eltern für eine gute Kooperation zu gewinnen, müssen akzeptable Erlärungen für ihr Scheitern und eine Entlastung bezüglich ihrer Schuldgefühle angeboten werden. Eltern suchen in der Therapie (oder Beratung; d. Verf.)  die Auflösung des Rätsels, daß ihnen ihr Kind mit seinem Symptomverhalten mit seinem Symptomverhalten aufzugeben scheint.“ (3)

Das Besondere an der Suchtpräsenz besteht in diesem Zusammenhang darin, daß Eltern in der Regel über keine Lebenserfahrung verfügen und man auch sonst nicht darauf vorbereitet wird, wie mit Pubertierenden umzugehen ist, wenn sie der Faszination von Rauscherfahrungen oder Onlinespielerfolgen erliegen. Das sind Sondererfahrungen in der Erziehung von Kindern auf die Eltern nicht vorbereitet sind. Wir können also Eltern das Reframing (2) anbieten, nicht sie haben versagt, sondern die Rauschmittel haben beim Kind gewonnen. Nicht die Eltern haben Schuld an den Problemen, sondern die Dealer und die Drogen, oder die raffinierten Programmierer und die Online-Spiele haben Schuld. Diese Konstruktion führt zu einer merklichen Entlastung elterlicher Schuldgefühle zumal sie ein sehr bedeutsamer Bestandteil der Gesamtproblematik darstellt. Gäbe es keine Drogen (Medien) würden die Auseinandersetzung mit dem Kind anderes verlaufen!

Bevor aber ein Elterncoaching beginnen kann, sollten wir mit den ratsuchenden Eltern einiges klären und in Erfahrung bringen, was einem Erfolg im Wege stehen könnte. siehe Kontraindikationen


(1) Der Begriff „Abhängigkeit“ wird in den offiziellen Diagnosesystemen, dem ICD-10 und dem DSM-IV-TR, definiert. Wir benutzen die diagnostischen Leitlinien auf der Website www.drugcom.de/drogenlexikon/abhaengigkeit.

(2) siehe Blog-Seminar 21. Einheit https://systemische-fortbildung.de/der-3-blog

(3) Jürg Liechtig. Dann komm ich halt, sag aber nichts. Motivierung Jugendlicher in Therapie und Beratung. Seite 85 und 86