Vergleich Elterncoaching und Angehörigencoaching

Elterncoaching mit Eltern, die mit Sohn oder Tochter zusammenleben.

Angehörigencoaching mit PartnerInnen (1) oder anderen Angehörigen, die mit einem Konsumenten zusammenleben.

Was gleich ist.

Die Probleme

Es geht um Konsumenten von Rauschmitteln, zu denen man mit Appellen an ein gesundes Leben und Konsumfreiheit nicht durchdringt. Meine Erfahrung nach der Arbeit mit Hunderten von Rauschmittel abhängigen Menschen sagt mir, daß sie selbst wissen, daß sie gesundheitsschädlich konsumieren und nicht überzeugt werden müssen. (2) Was sie jedoch nicht wirklich wissen bzw. glauben wollen ist, daß die Menschen, mit denen sie leben, den Konsum nicht mehr tolerieren wollen.

Man hat alles ausprobiert und weiß nicht weiter.

Möglicherweise konnten andere Beratungen auch nicht weiterhelfen, außer den Ratschlägen, an sich selbst zu denken und wieder ein eigenes Leben zu leben oder den Konsumenten „fallenzulassen“ oder sich zu trennen, was man entweder nicht schafft, nicht kann oder aus Liebe nicht will: Wenn nur der Konsum nicht wäre, ist er oder sie doch ein lieber Mensch.

Das Coaching mit neuen Lösungsansätzen

Das, was nicht funktioniert, ist die Kommunikation – man dringt nicht durch. Daher liegt in der Änderung der Kommunikation der Schlüssel:

Die bisherige Kommunikation war in der Regel wortreich redundant, komplex in der Vermischung von Inhalten, unklar mit Schachtelsätzen und durchsetzt mit affektiver Aufladung, widersprüchlich in den Vorhaben und Zielen, etc.

Die bisherige Art, zu kommunizieren, wird nun sein gelassen. Die neue Kommunikation wird reduziert a) im Inhalt „was wird kommuniziert“ wird und b) in der Art und Weise „wie wird kommuniziert“:

a) Was kommuniziert wird.
Es ist bis heute alles gesagt und ob der Adressat verstanden hat, bleibt offen.
Die zentrale und einzige Botschaft ist: Ich möchte, daß Du konsumfrei lebst!

Das heißt, es gibt keine anderen Themen mehr!
Es wird nichts mehr diskutiert oder gar verhandelt oder gedroht oder motiviert! (2)

Ich möchte, daß Du konsumfrei lebst!

b) Wie kommuniziert wird.
Sollte über die zentrale und einzige Botschaft hinaus etwas zu kommunizieren sein, gilt im Coaching-Vertrag eine Regel:

Keine Alleingänge des Klienten – alles muß vertagt und zuerst mit dem Coach besprochen werden. Diese Ausnahme-Kommunikationen werden sich orientieren an:
Um was kann es gehen? Versorgung der Kinder, finanzielle Regelungen, ect.

Wie wird vorgegangen? Angehörige reflektieren mit dem Coach, was für das Familien- oder Paarsystem sinnvoll und funktional erscheint und werden das dem Konsumenten so kommunizieren, daß dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit wahrnehmen kann: Das ist jetzt nicht verhandelbar!

Was unterschiedlich ist.

Eltern bleiben immer Eltern. Eltern haben und spüren hier eine exklusive Verantwortung. (3) Hingegen kann man sich aus einer Partnerschaft trennen und verabschieden.

Die bezogene Individuation ist unterschiedlich.

In der Eltern-Kind-Beziehung sollte sich die Dynamik danach richten, daß mit jedem nächsten Schritt der Individuation des Kindes auch ein neuer Schritt der Bezogenheit entwickelt werden muß bis das „Kind“ selbst für seine Existenzsicherung sorgen kann: die Eltern-Kind-Beziehung ist ab der Pubertät geprägt vom Ziel der Autonomieentwicklung des Kindes.

Bei Paaren, d. h. in Liebesbeziehungen, sollte es nicht um die Autonomieentwicklung gehen, sondern eine liebevolle Bezogenheit entwickelt werden. Das geht auf die Dauer nicht ohne das Element der Vertragspartnerschaft, in der sich die Partner Regeln und Erwartungen für ihre Beziehung setzen und ihre Rollen und Verantwortlichkeiten definieren. Entsprechend handeln sie ihre bezogene Individuation aus: wieviel Autonomie kann jeder wahrnehmen und welche Bezogenheiten wünscht man sich.

Die wirtschaftlichen und wohnlichen Abhängigkeiten sind (in der Regel) verschieden.

Bei Eltern-Kind-Beziehungen sorgen die Eltern für das Einkommen und sind Wohnungsgeber.

In Partnerbeziehungen sorgen beide für das Einkommen (5) und beide sind gleichberechtigte Mieter oder Besitzer von Wohnung oder Haus.

Die verwandtschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten sind unterschiedlich.

Eltern-Kind-Beziehungen haben ein gemeinsames Verwandtschaftssystem und diese Verwandten müssen sich im Zweifelsfall entscheiden, wem gegenüber sie sich loyal fühlen und wen sie unterstützen wollen.

Bei Paaren hat jeder der beiden sein ein eigenes Verwandtschaftssystem, von dem sie Loyalität und Unterstützung erwarten können.

Hierarchisch vs. horizontal

Mindestens so lange wirtschaftliche Abhängigkeiten gelten Eltern-Kind-Beziehungen als hierarchisch und entwickeln sich erst mit der eigenen Existenzsicherung der Kinder zu „partnerschaftlichen“ Beziehungen auf Augenhöhe.

Paarbeziehungen sind per se horizontal (6) angelegt.

Das Coaching mit unterschiedlichen neuen Lösungsansätzen

Das Familien- bzw. Paarsystem und das familiäre bzw. das Paar-Netzwerk

Da es im Coachingverlauf um ungewöhnliche Interventionen (Kommunikation und Verhalten) gehen wird, brauchen die Angehörigen nicht nur den Coach, sondern auch private Unterstützung.

Ein Elternpaar kann sich miteinander unterstützen, beratschlagen, Aufgaben teilen.

Eine Alleinerziehende und ein Partner sind auf sich allein gestellt. Sie benötigen mindestens eine weitere Person, die in Coaching eingeweiht ist, sich eventuell sogar an den Sitzungen beteiligt, ohne allerdings selbst intervenieren zu sollen.

Das Lernen der disziplinierten Kommunikation

Die Ankündigung der Sendepause durch die Eltern bezieht sich auf deren altersentsprechendem Verhalt gegenüber Max und bezieht den Konsum nicht mit ein. Wir schließen die Ruhephase an, um herauszufinden, ob Max den Konsum selbst aufgibt. Die überwiegende Zahl der Jugendlichen findet die Sendepause und die Ruhephase in Ordnung und entspannend.

Bei Angehörigen deren Partner konsumiert, hat die Sendepause allzu häufig zu Mißverständnissen und Fehlinterpretationen geführt. Wir sollten mit Partner ohne die Sendepause daran arbeiten, wie sie ihre Kommunikation im Alltag auf das Notwendigste reduzieren können. Eine Intervention, die ersatzweise wirkungsvoll ist, ist, dem Partner keine Fragen mehr zu stellen, sondern nur noch Aussagen zu machen.

Die zentrale Forderung nach Konsumfreiheit

Bei Eltern und ihrem Max kommt diese Forderung erst dann ins Spiel, wenn die Ruhephase endet und Max immer noch konsumiert.

Ganz so planvoll wie im Elterncoaching können wir bei Partnern nicht vorgehen. Die Schritte Zielbestimmung und Reduzierung bzw. Fokussierung der Kommunikation sind dem Elterncoaching vergleichbar. Wir steuern relativ schnell auf die zentrale Forderung nach Konsumfreiheit zu. Mit welchen Teilschritten dies verbunden sein wird, hängt von verschiedenen Bedingungen ab, so daß wir bei Paaren individueller entscheiden müssen, wie wir vorgehen:

Was hat das Paar für eine Geschichte incl. der Konsumgeschichte; wie sind wechselseitigen Bedingungen der Vertragspartnerschaft; welche Hoffnungen und Befürchtungen gibt es hinsichtlich Verschlimmerung oder Verbesserung; welche Rolle spielen die Eltern und Geschwister der Partner; etc.

Psychoanalytische Theoriebildung und Bindungstheorie

Während wir uns im Elterncoaching u. a. auf den familiensystemischen Ansatz beschränken können,

müssen wir beim Angehörigencoaching folgendes mitbedenken:

Wenn es um langjährig Konsumierende geht, müssen wir uns mit den Konzepten der Objektbeziehungstheorie und Bindungstraumatisierungen beschäftigen, sowohl um prognostische Einschätzungen entwickeln, als auch die Strategien und Interventionen auf ihre Wirksamkeit und Passung hin auswählen zu können.


(1) Ich verwende die männliche Schreibweise, weil das die Formulierungen vereinfacht. Dem ist keine Genderpräferenz zuzuordnen

(2) Ich beziehe mich hier auf jene Konsumentengruppe, die so abhängig konsumiert, daß die leidvollen Nebenwirkungen für sie selbst nicht mehr zu übersehen sind. Diese Konsumenten haben ein Stadium der Abhängigkeit überschritten, in dem das Konzept der Motivierenden Gesprächsführung noch wirksam werden könnte.

(3) Das gilt selbstredend auch für „Kinder“, die sich um ihre Eltern sorgen oder Geschwister oder andere Verwandte.

(4) Die Idee ist, dass die Partner in einer Vertragspartnerschaft bewusst und aktiv daran arbeiten, ihre Beziehung zu gestalten und zu pflegen. Die Vereinbarungen in einer Vertragspartnerschaft können eine Vielzahl von Themen umfassen, wie zum Beispiel Kommunikation, Konfliktlösung, Sexualität, Finanzen, Kindererziehung oder Karriere. Indem die Partner diese Themen offen diskutieren und klare Regeln aufstellen, können sie ihre Beziehung stärken und Missverständnisse und Konflikte vermeiden oder lösen. Siehe Arnold Retzer. Systemische Paartherapie. Konzepte – Methode – Praxis. Stuttgart 2004. Seite 309

(5) Als ich Anfang der 80er in der Suchthilfe zu arbeiten begann, war die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen noch ein viel bedeutendes Thema als heute. Ganz ist das Thema nicht vom Tisch, wie in den letzten Monaten die Diskussionen um unterschiedliche Bezahlung deutlich machen.

(6) Das Gegenteil von hierarchischen Beziehungen sind horizontale Beziehungen. Hierarchische Beziehungen sind gekennzeichnet durch eine klare Rangordnung und eine Hierarchie von Macht und Autorität, während in horizontalen Beziehungen die Beteiligten auf gleicher Ebene interagieren und Entscheidungen auf der Grundlage von Konsens treffen. In solchen Beziehungen gibt es keine oder nur minimale Unterschiede in Bezug auf Status, Macht und Autorität.