1.3 Systemtheorie
Wenn man entdeckt, daß etwas Neues funktioniert, dann möchte man wissen, warum es funktioniert, d. h. wie es funktioniert. Welche Komponenten braucht man, wie fügt man sie zusammen und welche Umwelt braucht man zum Funktionieren. Bei nicht lebenden Teilen ist das relativ überschaubar und mit einer exakten und detailgenauen Beschreibung und Anleitung nachvollziehbar. Im Prinzip ähnlich, aber doch komplexer verhält sich dies bei lebenden Systemen, weil sie ein Eigenleben (Autopoiese) führen, das sich nicht immer vorhersehbar verhält.
Um die wirksamen Funktionsteile der Angehörigen- bzw. Elternpräsenz bei Suchtpräsenz so beschreiben zu können, daß sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nachzuvollziehbar und reproduzierbar sind, bedarf es einer Beschreibung mit reduzierter Komplexität. Die Systemtheorie nach Niklas Luhmann bietet uns hierbei wertvolle Beschreibungsgrundlagen. Seine Systemtheorie bewegt sich allerdings auf hohem Abstraktionsniveau, das wir hier wiederum in seiner Komplexität auf die für unsere Zwecke wesentlichen Grundlagen und Bestandteile reduzieren müssen. Wer sich dazu einlesen möchte, dem sei u. a. die Literatur in der Fußzeile empfohlen.
„Unter einem Psychischen System wird nach Luhmann ein Bewusstseinsprozess verstanden, wie er beispielsweise in einem menschlichen Gehirn stattfindet.“ (Wikipedia)
„Ein soziales System ist laut Luhmann nichts anderes als Kommunikation. Die Begriffe Kommunikation und Soziales System sind derart eng miteinander verknüpft, dass sie praktisch synonym verwendet werden können. Wann immer etwas kommuniziert, ist es ein soziales System, und umgekehrt muss jedes soziale System kommunizieren (operieren), um zu existieren.“ (ebd.)
Kommunikation wird hier jedoch anders definiert als im herkömmlichen Sinn mit Sender und Empfänger. Nach Luhmann kommunizieren nicht die Menschen, sondern die Kommunikation kommuniziert. (Wikipedia) Dazu gehört eine Information, die zu einer Mitteilung führt. Führt dies zu Verstehen (verstanden oder mißverstanden) entsteht Kommunikation.
Ein Beispiel: Meine Frau und ich hatten einen Disput. Wir mußten dann in die Stadt fahren. Ich lenkte und parkte ein, wie immer bestens. Meine Frau mit so einem betimmten Unterton: „Einparken kannst Du ja!“
Die o.g. Information bezieht sich auf die Gegenwart „Du kannst gut einparken!“ wird begleitet von der Mitteilung, die sich wohl im Unterton auf die Vergangenheit und den zurückliegenden Disput bezieht.
Zwischen Information und Mitteilung wird eine Differenz kommuniziert, die in diesem Fall u.a. sicherstellen soll, daß die Kommunikation weitergeht.
Faustregel: Die Differenz sollte weder zu klein sein (uninteressant und langweilig) noch zu groß sein (kein Verstehen), sonst bestünde das Risiko, daß die Kommunikation abbricht und nicht weitergeht.
Wird die mitgeteilte Information für so sinnlos gehalten, daß sie weder verstanden noch mißverstanden wird, ist die Fortsetzung der Kommunikation ebenfalls sinnlos, worauf die Systemoperation abbricht.
(Siehe unten: Luhmann, Was ist Kommunikation?)
Autopoiese: Systeme führen ein (selbstreferentielles) Eigenleben und erfinden, gestalten, erzeugen sich immer wieder aus sich selbst heraus.
Sie brauchen dazu aber eine Umwelt zu der sie sich abgrenzen können. Es gehört etwas zum System und es gehört etwas nicht zum System (Umwelt).
Somit zeigen Systeme eine operationale Geschlossenheit in Bezug auf ihre systemeigenen Operationen (Vorgänge im eigenen Organismus), sind aber offen für (fremdreferentielle) Informationen aus der Umwelt.
Um mit Informationen aus der Umwelt operieren zu können, bedarf es einer strukturellen Kopplung zwischen System und Umwelt. Die kann gelingen, wenn das System Erwartungsstrukturen aufbaut, die es für bestimmte Irritationen sensibler macht. (Wikipedia)
Damit haben wir zunächst die wichtigsten Theoriebausteine, die wir in den nächsten Beitrag auf Familiensysteme, Suchtpräsenz, Elternpräsenz, Angehörigenpräsenz und ein wirksames Coaching anwenden und umsetzen zu können.
https://de.wikipedia.org/wiki/Systemtheorie_%28Luhmann%29
Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie
Niklas Luhmann, Was ist Kommunikation? in: Simon, F. B. (Hg.) Lebende Systeme. Wirklichkeitskonstruktionen in der systemischen Therapie. S. 19-31. Kann man online lesen bei http://www.hyperkommunikation.ch/crashkurse/crashkurs_kommunikation/ck_kommunikation19.htm
Roland Schleiffer, Das System der Abweichungen. Eine systemtheoretische Neubegründung der Psychopathologie. Hier besonders Kapitel 2 Systemtheoretische Unterscheidungen.
Roland Schleiffer, Verhaltensstörungen. Sinn und Funktion. Hier besonders das Kapitel 6 Unabhängige Affektregulation: Süchte