12.1 Über das Wesen der Ruhephase
Ich fasse nochmals den Verlauf zusammen:
- Eltern suchen zum Erstgespräch die Beratungsstelle auf, weil Max Rauschmittel konsumiert.
- Diagnostische Phase I mit ca. 3-5 Wochen: Es finden 3-5 Elterngespräche statt.
- Diagnostische Phase II mit ca. 4 Wochen: Vorbereitung und Durchführung der „14 tägigen Sendepause“.
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Nach der Sendepause erklären die Eltern freundlich und zugewandt ihrem Max, daß sie mit ihm zukünftig altersgemäß umgehen werden. Er befindet sich in der Pubertät, die Eltern haben ihm bis hierhin alles mitgegeben, was ihnen möglich war. Nun hat er die Freiheit und die Aufgabe, sich selbst zu finden. Die Eltern werden sich in sein Leben nicht mehr einmischen. Max ist auch ab sofort von allen Aufgaben zu Hause entbunden. Die Eltern sorgen allein für die Gemeinschaftsaufgaben. Max hat die Alleinverantwortung für sein Zimmer, seine Kleidung, die Schule und die Freizeit. Er bekommt ein altersangemessenes Taschengeld, aber keine Extras mehr.
Eines ist noch wichtig: Max, wenn Du einen Rat brauchst oder etwas mit uns überlegen und durchsprechen möchtest, dann sind wir natürlich für Dich da. Wir sagen Dir dann offen und ehrlich was wir denken, aber selbst wenn wir Dir einen Rat geben sollten – entscheiden und Verantwortung übernehmen mußt Du ab jetzt selbst. (1)
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- Ruhephase mit 4-6 Monaten: die Eltern geben „Ruhe“ und wir warten ab, ob Max konsumfrei wird oder ein ernstzunehmendes Angebot macht.
Frage die Eltern danach, ob Max ihnen schon einmal gesagt hat, daß sie nerven. Die Eltern sollten ab und zu auf Max hören. Die Kybernetik der Eltern-Max-Beziehung bestand bis jetzt darin, daß die Eltern „hinter Max her“ waren und er sich entzog. Mit dem diagnostischen Aspekt der bezogenen Individuation in der Sendepause erhalten wir einen ersten Hinweis, ob (noch) eine Bezogenheit (Bindung) zwischen Max und den Eltern besteht. Falls Max mit Bezogenheit reagiert können wir von einer guten Prognose ausgehen. (2) Was in der Sendepause seitens der Eltern übertrieben mit der verbalen Ex-Kommunikation in Szene gesetzt wurde, wird nun in der Ruhepase moderat fortgeführt.
Wir haben diese Zeitspanne „Ruhephase“ genannt, weil Eltern Max in Ruhe lassen sollen. Wir müssen herausfinden, ob Max so mit seinen „aufdringlichen“ Eltern beschäftigt ist, daß er keinen Freiraum spürt, zu sich selbst und seinen Bedürfnissen und Interessen zu kommen. Dann wird er auch selbst die Freiheit (Autonomie) spüren, ob er nun weiter konsumieren will oder nicht.
Manchmal gibt es einen Max, der all das nicht glauben kann oder mag und sich nicht anders zu helfen weiß, als Provokationen in Szene zu setzen. Aber nicht nur dafür auch in Bezug auf die vielen Alltagssituationen benötigen fast alle Eltern eine coachende Begleitung. Dafür bieten sich verschiedene Settings an:
- wöchentliche Elterngespräche, oft sind auch 14tägige Kontakte ausreichend
- eine Elterngruppe, die vom Coach geleitet wird und in der Regel wöchentlich stattfindet.
Das primäre Ziel bleibt weiterhin der elterliche Einsatz für die Konsumfreiheit, aber bis zum Ende der Ruhephase muß dieses Thema ruhen, ebenso wie alle anderen Baustellen mit denen Max zu tun hat, warten und aufgeschoben werden müssen.
Die Mehrzahl der Jugendlichen, mit deren Eltern ich das Coaching durchführte, wurden in der Ruhephase konsumfrei. Auch hier würde ich wieder die Faustregel gelten lassen: Je kürzer vor dem Elterncoaching die Konsumphase dauerte, dest schneller gaben die Jugendlichen den Konsum auf.
Selbstverständlich bleiben die Eltern bei ihrem zurückhaltenden Verhalten! Aber eine Ausnahme können wir machen, wenn Max nun weiterhin konsumfrei lebt: Haben die Eltern den Eindruck, Max sieht einmal bei dem was er macht, recht negative Auswirkungen nicht ab, dann könnten die Eltern folgende Intervention wählen:
Max, Du machst zur Zeit … Ich würde Dir gerne etwas dazu sagen. Meinst Du, das ist ok? Ich möchte nicht, daß Du denkst, ich würde mich wieder wie früher in Dein Leben einmischen.
So würde man das doch auch bei anderen Menschen machen, z. B. bei Freunden. Auf Augenhöhe. Respektvoll und abgegrenzt.
(1) Ob man den Konsum und die elterliche Forderung nach Konsumfreiheit an dieser Stelle erwähnt, sollte man von der angenommenen Gefährdung der Gesundheit abhängig machen. Für die Eltern besteht in der Regel das Dilemma: erwähnen sie, daß Max mit dem Konsum aufhören soll, greifen sie in seine Autonomie ein; sagen sie kein Wort dazu, könnte Max annehmen, den Eltern sei es egal.
Eine Möglichkeit ist es, das Dilemma kommunizierbar zu machen: Max, noch eine Bemerkung zu Deinem Konsum. Wir haben uns kundig gemacht. Rauschmittel greifen in den pubertierenden Umbau biochemisch ein und es besteht ein schädigendes Risiko. Weil wir Dich lieben müssen wir uns als Eltern bei Dir für ein gesundes Leben einsetzen. Wir sind uns aber bewußt, daß nur Du das selbst entscheiden wirst.
(2) Sollte Max zu den wenigen Fällen gehören, die nicht einmal mit Bezogenheit reagieren, dürfte die Prognose weniger gut ausfallen. Trotzdem würden wir auch hier die Ruhephase durchführen. Es gibt leider keine Alternative. Siehe Abschnitt 12.2