6.4 Prozeßverlangsamung
Die Prozessverlangsamung in Beratung und Therapie bezieht sich auf eine bewusste Verzögerung des Gesprächsverlaufes, um dem Patienten Zeit zu geben, über seine Gedanken und Emotionen nachzudenken und sie zu reflektieren. Der Berater kann die Verlangsamung des Prozesses nutzen, um dem Klienten die Möglichkeit zu geben, seine Gedanken und Gefühle zu sortieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Die Prozessverlangsamung kann in verschiedenen Formen auftreten, beispielsweise durch Pausen im Gespräch, durch das langsame Wiederholen oder Nachfragen von Gesagtem oder durch das bewusste Verlangsamen des Gesprächstempos. Der Berater kann auch bewusst Widersprüche oder Ungereimtheiten im Gespräch des Klienten ansprechen, um ihn dazu zu bringen, seine Gedanken und Gefühle zu klären.
Die Prozessverlangsamung kann dazu beitragen, dass der Klient sich besser verstanden und gehört fühlt, was wiederum seine Mentalisierung fördern kann. Indem der Klient Zeit hat, über seine Gedanken und Gefühle nachzudenken und sie zu reflektieren, kann er auch tiefergehende Einsichten gewinnen und zu neuen Erkenntnissen gelangen.
Allerdings sollte die Prozessverlangsamung auch in einem angemessenen Rahmen stattfinden und nicht zu einer übermäßigen Verzögerung des Prozesses führen. Der Berater sollte darauf achten, dass der Klient nicht frustriert wird und dass der Fortschritt trotzdem erhalten bleibt.
Begonnen habe ich damit, langsamer und damit kleinschrittig zu arbeiten, in der Weiterbildung in klinischer Hypnose und Hypnotherapie. Wenn man mit jemand arbeitet, der sich gerade in Trance befindet, muß man zwangsläufig langsam und kleinschrittig arbeiten, weil Zeit eine ganz andere Rolle spielt. Zudem wird man als Berater darauf trainiert, sehr genau auf jede feedbackgebende Reaktion des Klienten zu achten und diese beim nächsten Kommunikationsschritt zu berücksichtigen.
Dann habe ich mal das Buch von Prof. Pöppel (1) gelesen. Er schreibt ab Seite 30 über Zeitabläufe im Gehirn. Da ist mir noch auf andere Weise deulich geworden, warum ich so arbeite, wie ich arbeite und warum das so wirksam ist.
Kurz gefaßt, das Gehirn arbeitet so ähnlich wie das Internet, und zwar in Informationspäckchen. Alle 3 Sekunden öffnet es sich für Infos. Schließt die Schotten. Verarbeitet. Öffnet sich wieder. Und so fort. (2)
Wenn wir jetzt als Sprachberufler mit unserem temperamentvollen Sprachzentrum auf so ein armes Gehirn losgehen, dann muß es diese Flut an Informationen (ganz abgesehen von den anderen Aspekten, wie z. B. die Tiefenschicht) auch verarbeiten können. Ich halte mich an Watzlawicks Axiom von der Interpunktion und nenne das Prozeßverlangsamung:
Merksatz: Ich „sende“ eine Information (ein Satz, eine Botschaft) und ich warte ab, was im Kopf des anderen wohl passieren mag. Erst wenn ich halbwegs sicher bin, daß verstanden wurde (siehe Luhmann mit Information-Mitteilung-Verstehen), kommt meine nächste Sequenz.
Während ich zu einem Klienten etwas sage, beobachte ich, welches Feedback mir sein Gesicht, seine Körperhaltung dazu gibt, ob er noch aufmerksam ist und versteht. Beim kleinsten abweichenden Signal halte ich inne.
Weiter macht es Sinn, nicht jeden Satz, aber möglichst viele Gesprächssequenzen dahingehend zu überpüfen, ob und was der Klient verstanden hat und ob es eine Differenz zu meinem Verstehen gibt.
Und ich gestatte mir Denkpausen. Sobald ich merke, ich verliere den Faden oder den Überblick, ich fühle mich nicht orientiert oder ratlos, oder ich stecke in einer heftigen Gegenübertragung, bitte ich den Klienten innezuhalten und einen Moment zu warten: Sorry, ich muß mal eben nachdenken!
Mit dieser Prozeßverlangsamung in Gesprächen bin ich wiederum ein Modell für die Eltern, wie sie ihr temperamentvolles Sprachzentrum zügeln können und in der Kommunikation ihren Max aufmerksam im Blick haben.
(1) Prof. Dr. Ernst Pöppel. Je älter desto besser. Überraschende Erkenntnisse aus der Hirnforschung.
(2) Es gibt noch andere Variablen und Aspekte. Siehe z. B. www.mpg.de/488678/pressemitteilung20040308