12.2.1 Nichts mehr doppelt sagen, einmal sagen, dann gehen.

Viele Eltern mit denen ich arbeite, haben viel geredet, mit ihren Kindern viel geredet, zu viel geredet. Sie haben ein temperamentvolles Sprachzentrum.

Manchen Kindern ist das egal. Andere Kinder irritiert das. Sie macht das viele Gerede unsicher. Sie fühlen sich dadurch kognitiv überladen und können den Kern der Botschaft nicht herausfiltern. Andere Kinder fühlen sich von der Art des vielen Redens bedrängt, wissen nicht wie sie sich gegen das Reden zur Wehr setzen könnten. Manchmal geraten Kinder auch in einen Loyalitätskonflikt, sind es doch die Eltern, die reden.

Viel Reden kann mitunter auch bedeuten, daß ein Sachverhalt / ein Aspekt / ein Wunsch / eine Forderung mehrfach beleuchtet wird, in mehreren Varianten dargestellt wird und damit vieldeutig erscheint. Eine Gruppe von Kindern verunsichert das stark, weil sie so einen redenden Elternteil nicht wirklich verstehen und sich in der Folge fragen, ob denn dieser Elternteil das Kind vestehen kann. Dann fühlt sich dieses Kind selbst nicht verstanden oder ist nicht sicher, ob es verstanden wird.

Diese Gruppe Kinder weiß sich nicht zu helfen. Ihre Unsicherheit, Nervosität, Ratlosigkeit potenziert sich bis hin zu Aggressivität. Sie können die Eltern nicht verstehen und deren Kernbotschaften nicht einordnen,  und sie beginnen vor lauter Hilflosigkeit herumzuprobieren, um über Handlungen und Verhalten herauszufinden, was denn nun Gültigkeit besetzt und was nicht oder was verhandelbar ist und was nicht. Wenn dieses Verhalten von Eltern dann als (negative) Provokation interpretiert und gedeutet wird, werden sie möglicherweise beginnen, noch mehr und eindringlicher auf das Kind einzureden, was dessen Verunsicherung noch weiter erhöht und zu noch mehr Unverstehen und Ratlosigkeit führt.

Diese zirkluären Kommunkationsschleifen sind in der Regel weder Kindern noch Eltern bewußt. Es sind Kommunikations- und Interaktionsmuster, die sich eingeschliffen und verselbständigt haben. Es wird noch mehr und andere Hypothesen geben, die eskalierenden Kommunikationsmuster zwischen Eltern und Kindern erklären zu können. (1)

Wenn Eltern ein Kind oder einen Jugendlichen haben, das bzw. der aversiv auf die elterliche Kommunikation reagiert, dann sind die Eltern daran ebenso beteiligt, wie ihr Kind. Darin liegt nun auch die Lösung: Eltern brauchen nur die Kommunikation ändern, dann wird sich auch die Beziehung zum Kind bzw. die Beziehung zwischen Eltern und Kind ändern.

Anregungen für Eltern könnten sein:

Ändern Sie das bisherige Muster, indem Sie konsequent über mindestens 4, nur noch einmal etwas sagen. Je länger Sie Ihre Probierphase durchführen, desto erfolgreicher werden Sie sein!

Üben Sie sich in Selbstkontrolle, d. h. bevor Sie sprechen überlegen Sie erstens den Kern Ihrer Aussage, Ihrer Botschaft und überdenken Sie zweitens welche Wirkung und Auswirkung Ihre Botschaft auf Ihr Kind haben könnte.

Merke: Es wird eine Übergangsphase geben. Wichtig ist nämlich, daß Sie nach einer Ansage weggehen. Nicht abwarten bis das Kind reagiert, sondern weggehen. Weil das Kind von Ihnen bisher anderes gewohnt ist, wird es nicht sofort* auf Ihre Ansage reagieren. Aber warten Sie ab, es wird demnächst wunschgemäß reagieren. Sie brauchen etwas Geduld bis das Kind realisiert, daß Sie nun ein anderes Verhalten drauf haben.

* Wenn das Kind auch auf Vielreden nicht gewünscht reagiert, ist es doch egal – es kann nur besser werden; Sie können nur „gewinnen“.

Die Reaktionen sind bei Kinder oft erstaunlich:

Das Kind, der Jugendliche, zeigt sich erstaunt und zunächst auch verunsichert, wenn sich Eltern nicht mehr 10 Mal wiederholen, sondern z. B. nach einer Ansage einfach gehen.Man sollte manchmal die erstaunten bis entsetzten Gesichter dieser Kinder sehen, wenn sich Mama erdreistet, nicht abzuwarten bis sich das Kinder aversiv zeigt und ein Protest ins Leere läuft.

Wenn Eltern nur einmal etwas sagen und gehen, entgehen sie dem Risiko, daß ein Wort das andere gibt, daß etwas diskutiert und zerredet wird bis von der elterlichen Aussage oder Ansage nichts mehr übrig bleibt. Die Erfahrung zeigt, daß die Jugendlichen zwar erstmal nach Luft schnappen, aber letztlich dankbar sind, daß die Eltern eine klare Botschaft und damit auch eine klare Orientierung kommunizieren, weil ihnen (den Jugendlichen) das Sicherheit vermittelt. Eltern müssen nur darauf gefaßt sein, daß es die Jugendlichen erst einmal mißtrauisch sind, ob diese elterliche Verhaltensänderung nicht nur ein Zufall oder eine kurze vorüber gehende Episode war. Daher werden nun die Eltern gestestet, um herauszufinden, wie stabil das neue Elternverhalten ist. Man könnte das auch als homöostatische Erstverschlimmerung verstehen – ein neues familiäres Gleichgewicht (Homöostase) wird gesucht und muß sich über neue Verhaltenweisen und -versuche einpendeln.

Je öfter, je häufiger und je länger Eltern das neue reduzierte Elternverhalten mit sparsamer Kommunikation ausnahmslos zeigen, desto mehr gewinnen sie bei den Jugendlichen an Achtung und Respekt.


(1) so z. B. die Lerntheorie: Sie möchten, daß Ihr Kind etwas tut. Sie sagen das einmal. Das Kind macht es nicht. Sie sagen das ein 2. Mal. Das Kind macht es wieder nicht. Wenn Sie jetzt ein 3. Mal das Gleiche sagen, bewirken Sie Zweierlei:

  1. Das Kind nimmt Sie nicht mehr ernst, weil Sie beim 2. und 3. und jedem weiteren Mal  zu erkennen geben, daß Sie in der schwachen Position sind, es mehrfach sagen zu müssen, weil einmal (scheinbar) nicht reicht.
  2. Der Lerntheorie und Lernpsychologie folgend, birgt jede Zuwendung das potentielle Risiko, als Verhaltensverstärker zu wirken. Reden und jedes Reagieren ist eine Zuwendung und damit ein möglicher Verstärker des vorangegangenen Verhaltens. Sie sagen etwas – das Kind verweigert sich – sie sagen das erneut (nun können wir davon ausgehen, daß das Kind verstanden hat, weil es nicht dumm ist) – das Kinder verweigert sich erneut – wenn Sie jetzt das Gleiche wieder sagen, gehen Sie das Risiko ein, daß Ihr Reden eine Zuwendung im Sinn einer Verhaltensverstärkung ist, d. h. die Verweigerung des Kindes, das unerwünschte Verhalten, wird verstärkt = konditioniert.

Respekt verlieren: Man sagt einmal etwas. Es wird ignoriert. Man sagt es ein zweites Mal. Es wird ignoriert. Man wiederholt es noch einmal. Dann wird gedroht: wenn Du … dann … Es wird zum gleichen Aspekt unterschiedlich argumentiert. Es wird gebeten, gebettelt, motiviert etc.
Effekt: Max erlebt hilflose Eltern und verliert den Respekt.
Respekt erarbeiten: Man sagt einmal etwas. Es wird ignoriert. Man sagt es ein zweites Mal, aber nicht um Druck zu machen, sondern um anhand der Reaktion zu überprüfen, ob Max verstanden hat. Er ist ja nicht dumm.
Wenn keine Zustimmung oder kooperatives Verhalten gezeigt wird, dreht man sich um und geht aus der Situation heraus (1), kommt aber irgendwann mit der gleichen „Ansage“ wieder.
Dieses Vorgehen signalisiert: Ich habe es nicht nötig, zu argumentieren, zu motivieren, Druck zu machen etc. Ich bin so souverän und kann das aussitzen.