12.2.1.1 Ich habe Dir schon 100 mal gesagt …

… daß Du das und das tun sollst. Warum kannst nicht einfach hören?!

Aus meinem Blog für Eltern und Profis, den ich 2012-2016 geschrieben hatte, hier ein anonymisierter Brief an eine anfragende Mutter:

Liebe Frau Machmal,
Sie hatten mich ja neulich darauf aufmerksam gemacht, daß ich immer nur für Eltern Rauschmittel oder Medien konsumierender Jugendlicher schreibe. Ihr Appell hatte Wirkung. Heute hatte ich im Coaching mit 2 Eltern eine Situation, die nützlich für alle Eltern sein könnte.

Herr und Frau Müller, nennen wir sie einmal so, haben das 8jährige Töchterchen Maxi, das sich etwas „aufsässig“ zeigt, man könnte es auch willensstark nennen (Umdeutung -> Wikipedia). Als Eltern redet und redet und redet man und manchmal hört Maxi und befolgt, was man gerade von ihr möchte, oft oder meist aber auch nicht. Unkundige Eltern, wo soll man das auch gelernt haben, versuchen nun mehr desselben, vermutlich in der Hoffnung, steter Tropfen hölt den Stein, Maxi würde endlich mal einsehen, daß es richtig ist, was man sagt.

Die Lage ist nicht kompliziert, aber komplex und beinhaltet mehrere in einander spielende Aspekte:

1. Mehr desselben 🙁

Wenn das Wirkung und den gewünschten Erfolg zeigt – Glück gehabt. Mehr desselben ist aber keine erfolgversprechende Strategie im Umgang mit Menschen, sondern wirklich nur ein Glücksspiel nach dem Motto: die Hoffnung stirbt zuletzt.

Meine Faustregel: die Menschen mit denen ich zu tun habe sind ja nicht blöd. Die verstehen natürlich schon beim ersten Mal, was ich sagen will. Na gut, machmal muß man noch einmal nachbessern und etwas deutlicher erklären oder zurechtrücken. Aber dann hat der andere das beim 2. Mal verstanden. Wenn ich meine, nach dem 1. und 2. Mal etwas wiederholen zu müssen, dann liegt das doch nicht am logischen Verstehen – oder?!

Nein, dann liegt der Hase im Pfeffer der Beziehung. Schon Paul Watzlawick hat als einen Grundsatz der Kommunikation postuliert: Komunikation besteht aus einem Inhaltsaspekt und einem Beziehungsaspekt und beide beeinflussen sich gegenseitig fortwährend. (1)

Habe ich zu jemandem eine entspannte, feundliche, nette Beziehung, kann ich auch ein „schwieriges“ Thema (Inhalt) ansprechen. Das macht es erstmal leichter, als wenn auch die Beziehung „schwierig“ ist. Der „schwierige“ Inhalt könnte aber auch die Beziehung negativ beeinflussen.

Zurück zu den Eltern Müller und Maxi: ein, zwei Mal etwas gesagt, natürlich freundlich, nett, respektvoll. Maxi reagiert nicht, zumindest nicht kooperativ, sondern vertagend, vertröstend, maulend, verweigernd …

Wenn die Eltern Müller jetzt das dritte, vierte, fünfte Mal mehr desselben sagen, demontieren sie ihre eigene Autorität:

Wer sich wiederholt,

  • zeigt sich machtlos und hat es nötig, sich zu wiederholen.
  • gibt zu, daß die 1. und 2. und jede vorausgegangene Ansage wirkungslos waren.
  • hat es nötig und warum sollte man dem Respekt zollen?!
  • geht lernpsychologisch das Risiko ein, daß jede Wiederholung als ein Verhaltensverstärker für die Verweigerung des Kindes ist, weil Zuwendung, z. B. Wiederholung, verstärkt (auch) unerwünschtes Verhalten.
  • zeigt sich immer ohnmächtiger und macht den anderen, hier z. B. das Kind, immer mächtiger.

Ich würde sagen, man treibt mit mehr desselben ein Kind in eine Art kleinen Größenwahn.

Aber was tun? Sorry, langsam bitte – erst müssen wir uns noch dem Aspekt der Hoffnung auf Einsicht zuwenden.
Dann dem Aspekt, daß wir uns als Eltern gut überlegen müssen, was wir alles von unseren Kindern wollen und wo lohnt es sich, etwas zu wollen.
Und dann kommen wir zu dem Aspekt des alternativen Elternverhaltens.

Die Hoffnung auf Einsicht

Ich hatte eingangs geschrieben, die Eltern wünschten sich „Maxi würde endlich mal einsehen, daß es richtig ist, was man sagt.“

Müllers hoffen, Maxi würde, je mehr sie reden und wiederholen, das machen, was sie möchten. Mehr noch: Maxi möge doch einsehen, daß sie Recht haben.

Aber eigentlich wissen Müllers schon längst, daß es nichts nutzen wird, wenn sie so weitermachen. Nur wissen sie noch keine Alternative.

Die erarbeiten wir uns jetzt: Worum geht es denn wirklich? Und wie können wir das verstehen! Zunächst müssen wir zur Kenntnis nehmen:

Menschen sind sogenannte operational geschlossene Einheiten!

Damit ist gemeint, daß mein Einfluß an Deinem Trommelfell, der Netzhaut Deines Auges, der Haut Deines Körpers aufhört.

Denn Du bestimmst, welche Informationen und Botschaften Du in Deinen Organismus, d. h. Psyche und Körper, aufnimmst und verarbeitest !

Bei Kindern haben wir es vermeintlich einfacher, Einfluß zu nehmen, weil sie psychisch noch offener sind und noch nicht so viele  Abwehrmöglichkeiten gegen äußere Einflußnahme haben.
Mit Beginn der Pubertät ändert sich das ganz schnell. Das Gehirn beginnt sich umzubauen und macht zeitweise nach außen dicht, verarbeitet chaotisch oder einfach anders als bisher gewohnt. Die gewohnte Einflußnahme ist hin!

Zwei Hirnregionen sollten uns in diesem Zusammenhang, neben vielen anderen, besonders interessieren, um verstehen zu lernen. Der linke und der rechte PFC (Präfontale Cortex). (2)

Kindliche Gehirne verfügen nur über eingeschränkte Funktionen. Pubertierende Gehirne – übrigens zw. 11/13 und 21/30 Jahren ! – befinden sich in einem beständigen Umbau, weshalb sie manchmal den Eindruck kindlicher Reaktionen machen, dann wieder halbwegs erwachsen wirken, dann aber wieder … Sie wissen schon was ich meine. Umbauprozesse mit gelegentlichem Stromausfall und Standby Modus.

Der linke PFC wäre zuständig für Einsicht. Das aber kann man von einem kindlichen Gehirn in Bezug auf alle Konsequenzen, die mit Einsicht und ihren Folgen verbunden sind, nicht erwarten, denn ein kindliches Gehirn kann so etwas noch nicht zuverlässig leisten. Schließlich dürfen Kinder ja auch noch kein Auto fahren und nicht wählen gehen -> Exekutivfunktionen! (3)

Auch dem pubertierenden Gehirn können wir Einsicht und die Folgen noch nicht zuverlässig abverlangen, weil die Umbauprozesse immer wieder Einsichtnahmen durch das Überwiegen von impulsgesteuertem Erleben und Verhalten durchkreuzt werden.

Merke: Es kann für Eltern viel entspannter werden, wenn sie verstanden haben, daß wir vor dem Ende der Pubertät bis weit in die 20er Jahre nicht zuverlässig auf Einsicht bauen können.

Dann ist man, ob der eigenen Erwartungen, viel weniger enttäuscht und damit auch viel weniger emotional.

Deshalb hier einmal wieder eine Faustregel:

Wenn wir Eltern wollen, daß unsere Kinder etwas tun oder lassen sollen, dann sollten wir das

  • kurz (ein Wort oder Satz, ohne Wiederholung)
  • präzise (leicht verständlich als Handlungsanweisung)
  • cool (ohne erkennbare Emotion)

kommunizieren und bevor Maxi auch nur „Papp“ sagen kann, uns umdrehen und die Situation verlassen.

Wenn Sie die Situation unmittelbar nach einer Botschaft verlassen, vermeidet dies

  • eine weitere Diskussion und damit das Risiko, daß die Botschaft z_e_r_r_e_d_e_t wird und
  • die Botschaft bleibt im kindlichen Gehirn und muß dort irgendwie verarbeitet werden, weil sie durch ein weiteres Gespräch ja nicht wieder raus konnte ! ! ! Coole Vorstellung – oder ?! und
  • verschaffen Sie sich Respekt, weil sie es sich erlauben können, auf weiteren Nachdruck zu verzichten!

Wenn die „Ansage“ allerdings wirkungslos blieb, müssen Sie sich eine Wiederholung Ihrer Ansage, das Beklagen, geschweige denn eine Bestrafung (geht gar nicht) verkneifen, denn damit gestehen Sie ein, daß Sie es nötig haben und damit sägen Sie an Ihrem eigenen Autoritäts- und Respekt-Ast.

Was für ein Dilemma!

… werden Sie sagen: ich soll nur einmal was sagen, dann wird es nicht befolgt, und dann soll ich so tun, als hätte ich nicht gesagt?! Was soll das denn???

Sorry, aber das haben Sie sich selbst eingbrockt!

Wenn es so weit gekommen ist, dann haben Sie leider in der Vergangenheit sowohl zu viel geredet, d. h. immer und immer wieder das gleiche Theater – ohne erkennbare Wirkung, als auch sich machtvoll aufgespielt und das Kind unter Druck gesetzt. Das funktioniert vielleicht manchmal in einzelnen Situationen mehr zufällig, vermiest aber dauerhaft die Eltern-Kind-Beziehung total.

Da hilft nur eine radikale Kehrtwende, sozusagen ein pädagogischer Schuldenschnitt!

Was wir alles von unseren Kindern wollen und wo lohnt es sich, etwas zu wollen.

Man kann als Eltern ja so lange drauflos reden, ohne sich weitere Gedanken über Form und Inhalt zu machen, so lange alles irgendwie gut läuft. Millionen Kinder sind so erzogen worden. Sie brauchen also nur weiterlesen, wenn Sie die Beziehung zu Ihrer „Maxi“ verbessern wollen. Das verlangt dann nur etwas Konzentration, Dsziplin und Veränderungsbereitschaft von Ihnen.

Wenn es auch zu Ihren Standardsprüchen gehört „ich habe Dir schon 100mal gesagt, daß Du …“ dann wird vermutlich auch dazu gehören, daß Sie sich bisher nicht auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben Ihres Kindes beschränkt haben. Manche Eltern sind kommunikativ hinter ihren armen Kindern her, wie der Teufel hinter einer armen Seele. Ok, ich übertreibe. Aber Sie wissen ja, was ich meine – also worum geht es.

Ich habe eine Hausaufgabe für Sie:

Haben Sie zu Hause eine Pinwand? Dann hängen Sie dorthin bitte einen Zettel und einen Stift. Jetzt laufen Sie zu Hause so durch Ihren Alltag mit ihren Kindern und jedes Mal, wenn Sie von Ihrer Maxi etwas wollen (egal, ob das Loben oder Kritik oder ein Wunsch ist) schreiben Sie die Uhrzeit und den Satz auf.

Mancher wird jetzt einwenden: Ich laufe doch nicht 20 Mal am Tag zu dem Zettel. Ertappt: 20 Mal am Tag wollen Sie etwas von Maxi?! Echt?! Dann werden Sie ziemlich nerven und ein von Ihnen genervtes Kind hat weder Respekt noch ist es offen für Ihr Anliegen.

Was tun?

Ganz einfach. Machen Sie eine Woche lang (!) die Übung. Dann setzen Sie sich mit dem anderen Elternteil, der die Übung auch mitmachen sollte, hin und werten aus oder wenn Sie alleinerziehend sind, nehmen sie sich einen Freund oder eine Freundin zum Überlegen.

Wählen Sie so viele Punkte wie möglich aus, auf die Sie verzichten können. Und zu diesen Punkten schon mal bitte künftig kein Kommentar mehr, d. h. 2-4 Wochen absolut aussitzen.

Die übriggebliebenen Punkte teilen Sie auf in

  • Kritik, Kritisches,
  • Gefahrenabwehr und -verhinderung, Warnungen, Bremsendes, Hemmendes
  • elterlicher Wunsch, Forderung, Aufforderung
  • Aufmunterung, Aktivierendes,
  • Lob, Wertschätzendes

Von diesen Punkten dürfen 2/3 auf Positives, Konstruktives bezogen sein und nur 1/3 auf Negatives, Kritisches bezogen sein. Das Gute muß in der Beziehung zu den Kindern, also in der Kindererziehung, immer dicke überwiegen.

Lange Rede kurzer Sinn:

Durchforsten Sie Ihr Reden gegenüber Maxi und reduzieren Sie ihre Kommunikation auf das wirklich absolut Wichtige im Alltag mit dem Zusatz, das Positive (aus Maxis Sicht, wohlgemerkt) muß stark überwiegen.

Das trainieren Sie jetzt mal vier Wochen lang ganz konsequent. Das vorausgesagte Ergebnis: die beiderseitige Beziehung wird sich entspannen; Sie werden mehr respektiert; bei dem Wenigen, das sie noch sagen, wird dieses viel besser wahrgenommen und aufgenommen.

Es ist doch erstaunlich, in welchen Redenwendungen das schon steckt:

Reden ist Silber, schweigen ist Gold.
In der Kürze liegt die Würze.
Alles hat seine Zeit.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Noch ein Tip zum letzten Spruch: Vertagen! Ist auch eine gute Übung, denn Sie werden feststellen, daß Sie manchmal viel zu schnell sind, etwas zu sagen. Vieles erledigt sich von selbst. Also erstmal vertagen, und Sie können später jederzeit wieder darauf zurückkommen.


(1) Der Klassiker: Paul Watzlawick. Menschliche Kommunikation. Formen Störungen Paradoxien. Bern 2007. S. 53 ff

(2) Der präfrontale Kortex ist der Bereich des Gehirns, der für komplexe kognitive Funktionen wie Entscheidungsfindung, Planung, Arbeitsgedächtnis und Verhaltenskontrolle verantwortlich ist.
Der linke PFC wird mit sprachlichen und logischen Aufgaben in Verbindung gebracht und spielt eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von verbalen Informationen sowie bei der Planung und Durchführung von Handlungen. Ihm wird das sog. Annäherungssystem zugeschrieben (Neugier, Interesse etc.)
Der rechte PFC hingegen ist mit räumlicher Aufmerksamkeit und visueller Wahrnehmung verbunden und unterstützt die Verarbeitung von emotionalen Reizen und die Regulierung von insbesondere negativen emotionalen Reaktionen. Impulshaftes entsteht zumeist im re. PFC. Er ist auch an der Verarbeitung von sozialen Informationen wie der Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken und dem Verständnis von sozialen Normen beteiligt. Ihm wird das sog. Vermeidungssystem zugeschrieben.
Beide Gehirnhälften arbeiten zusammen, um komplexe Aufgaben zu bewältigen und um eine effektive Verhaltenssteuerung zu ermöglichen.