8.3 Homöostase und Kohärenz

Das Konzept der Homöostase in Familiensystemen besagt, dass Familien ein Bestreben haben, ein Gleichgewicht oder Stabilität (Morphostase) aufrechtzuerhalten, indem sie auf Veränderungen reagieren und ihr Verhalten anpassen (Morphogenese). Dabei geht es darum, dass Familienmitglieder ihre Interaktionen so organisieren, dass sie ein stabiles Gleichgewicht erhalten, um die Anforderungen und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, zu bewältigen.

Die Homöostase in Familiensystemen wird oft auf unbewusster Ebene erreicht, ohne dass sich die Familienmitglieder dessen bewusst sind. Familien haben bestimmte Muster, Rollen und Regeln, die die Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern strukturieren und das System stabilisieren. Veränderungen in einem Bereich können Auswirkungen auf andere Bereiche haben und das Gleichgewicht im System beeinträchtigen.

Das Konzept der Homöostase in Familiensystemen ist insbesondere in der systemischen Familientherapie von Bedeutung, da es dazu beiträgt, dass Therapeuten verstehen, warum Familien in bestimmten Mustern verharren und welche Hindernisse es gibt, um eine Veränderung zu erreichen. Die Familientherapie kann dann gezielt darauf abzielen, die Muster und Regeln zu verflüssigen und alternative Handlungsmöglichkeiten zu schaffen, um das System in eine positivere Richtung zu verändern. Dem widmet sich das Elterncoaching, indem im Unterschied zu familientherapeutischen Ansätzen und Vorgehensweisen hier fokussiert wird auf das zeitnahe Einstellen gesundheitsschädlichen Rauschmittelkonsums.

Ein homöstatisches Phänomen begegnet uns im Elterncoaching häufig: Wenn Mutter ein temperamentvolles Sprachzentrum zeigt und Vater sich als ein eher wortkarger Zeigenosse präsentiert, kannst Du darauf wetten, wenn Mutter die Kommunikation markant reduziert, daß sich Vater plötzlich sehr gesprächig und kommunikativ zeigt, d. h. der elternliche Gesamtkommunikationstopf bleibt bei 100%, verteilt sich nur intern um.

Daher sollten wir im Elterncoaching aufmerksam wahrnehmen, wie sich die Eltern als elterliches Gesamtpaket künftig gegenüber Max zeigen und präsentieren.

Kohärenz in Familiensystemen bezieht sich auf das Ausmaß, in dem die verschiedenen Mitglieder einer Familie miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt sind bzw. ein Kohärenzgefühl (1) zueinander erlben. Eine kohärente Familie ist in der Regel stabil, funktionsfähig und in der Lage, Veränderungen und Herausforderungen anzugehen, während eine inkohärente Familie eher instabil und anfälliger für Konflikte und Probleme ist.

Kohärenz kann auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden, zum Beispiel auf der Ebene der Kommunikation, der Werte und Überzeugungen, der Rollen und Beziehungen oder der gemeinsamen Ziele und Aufgaben. Eine kohärente Familie zeichnet sich in der Regel durch eine klare und offene Kommunikation, eine gemeinsame Wertebasis, eine angemessene Rollenverteilung und eine klare Definition der Beziehungen zwischen den Mitgliedern aus.

In der Familientherapie wird die Förderung von Kohärenz oft als Ziel angestrebt, um das Wohlbefinden der Familienmitglieder zu verbessern und Konflikte zu reduzieren. Dazu können verschiedene Techniken und Interventionen eingesetzt werden, wie z.B. die Förderung von Offenheit und Vertrauen, die Stärkung der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern oder die Entwicklung gemeinsamer Ziele und Aktivitäten.

Dem spielt beim Elterncoaching wiederum der Zeitfaktor entgegen. Aufgrund der latenten oder manifesten Gesundheitsgefährdung mittels Konsum bleibt keine Zeit für familientherapeutisch angestoßene Entwicklungen. Das Kohärenzkonzept gibt uns aber prognostische Hinweise, indem wir uns danach erkundigen, wie die Familie in der Vergangenheit mit Krisen und Belastungssituationen umgegangen ist, bzw. ob es solche überhaupt gegeben hat und man mit einem Krisenbewältigungsmodus möglicherweise kein Erfahrung hat. Prognostisch sehen wir den Hinweis bereits zu Beginn des Elterncoachings in der Sendepause. Wie reagiert Max auf den kommunikativen Rückzug (Individuation) der Eltern? Reagiert er mit Bezogenheit, ist das ein Hinweis auf Kohärenz, d. h. die Stabilität und Anpassungsfähigkeit des Familiensystems (2) – prognostisch günstig. Reagiert Max jedoch mit überzogener Individuation, mit Individuation gegen, dürfte das ein Zeichen für eine inköhärente Reaktion und einer Desintegration sein – prognostisch ungünstig.


(1) Antonovsky. Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen 1997

(2) Wirsching und Scheib (Hrsg.). Paar- und Familientherapie.Heidelberg 2002.

  • Seite 311-312 Kap. 17.3.8 Der salutogenetische Aspekt in der systemischen Familienmedizin
  • Seite  400-401 Kranksein als narrative Wirklichkeit