11.2.2.1 Geschwister

Wenn es Absicht der Eltern ist, ihre Kommunikation und damit auch ihre Beziehung zu Max zu verändern, müssen die Geschwister einbezogen werden. Auf welche Weise hängt von deren Alter und Entwicklungsstand ab.

Gleichaltrige und ältere Geschwister

Sind die Geschwister wie Max ebenfalls bereits in der Pubertät, ist die Änderung der Eltern, wie sie künftig mit allen Kindern umgehen und welche Beziehung sie zu ihnen entwickeln „ein Aufwasch“. Es wird auch einer Schwester von Max, nennen wir sie hier mal Inge, die etwas älter oder jünger ist als er, gut tun, wenn die Eltern ihr Verhalten ändern. (1)

Die Eltern werden auch den Geschwistern gegenüber eine Sendepause einlegen. Selbst wenn sich die Eltern gegenüber Inge anders verhalten – diszipliniert als Abwesenheit von impulsiv, unüberlegt, überinvolviert emotional etc. – plädiere ich dafür, Inge in die Sendepause mit einzubeziehen.

Zum einen gibt es das immer wieder beobachtete Phänomen der familiären Homöostase. Es besteht ein gewisses Risiko, daß beim Herunterfahren der Kommunikation gegenüber Max zum Ausgleich eines kybernetischen Gleichgewichtes die Kommunikation gegenüber Inge hochgefahren wird. Dieses Risiko sollten wir nicht eingehen, um einen möglichen Mißerfolg zu vermeiden.

Zum zweiten bringen wir mit dem einseitigen Durchführen in Bezug zu einem Kind beide Geschwister in eine Konkurrenz zu einander. Inge kann sich fragen, warum sich die Eltern mit Max so viel Mühe geben und sie (vielleicht wieder einmal) nicht im Aufmerksamkeitsfokus, sondern am Rande steht. Max kann sich fragen, warum er mal wieder eine Sonderbehandlung erfährt und der vermeindlich „Böse“ oder „Ungeratene“ unter den Geschwistern sein soll.

Gemeinsame Ankündigung

Die Eltern werden Max und Inge gemeinsam an den Tisch bitten und ihnen die Sendepause ankündigen. Sie wählen am besten das Reframing, daß die Auseinandersetzungen mit Max sie sehr zum Nachdenken über die Beziehung von Eltern zu „Kindern“, die nun langsam erwachsen werden, angeregt hätten. Das sei sozusagen Max’ Verdienst, darauf aufmerksam gemacht zu haben. Die Eltern beziehen nun Inge und Max mit in eine Sendepause ein.

Das Reframing utilisiert die bisher, vermutlich von allen Familienmitgliedern leidvoll erlebten, Auseinandersetzungen, indem Max’ Suchtpräsenz zu etwas Nützlichem umgedeutet wird: „Max Du hast (unbewußt, weil inszenierend über den Umweg Suchtpräsenz) darauf aufmerksam gemacht, daß wir alle in einer familiären Phase sind, in der wir unsere Beziehungen und unseren Umgang miteinander neu überdenken sollten! Vielen Dank für Deinen Beitrag, Du hast uns die Augen geöffnet.“

Menschen sind keine Maschinen (2). Es gibt keine Zwangsläufigkeit, daß Max’ Suchtpräsenz nun im Sinne einer heimlichen oder jetzt erst erkannten Auftragslage erledigt wäre. Das wiederum hängt davon ab, wie sehr der Konsum von Stoffen (oder die Nutzung von Medien) schon sein Gehirn geschädigt hat, indem wichtige Exekutiv- und Ich-Funktionen schon beeinträchtigt sind. Oder sollte die leidvolle Beziehung schon sehr lange andauern, kann es auch sein, daß Max zwar versteht, was die Eltern mit dem Reframing ausdrücken wollen, er es ihnen jedoch nicht abnimmt, weil sie schon zu viel und zu oft ihre Meinung und ihr Verhalten gewechselt haben und sie es ihm gegenüber künftig erst beweisen müssen, daß sie nun „anders drauf sind“.


(1) Ich bin aus alter Gewohnheit immer wieder geneigt zu schreiben „wenn sich die Eltern ändern“. Meine Hoffnung ist, die Eltern würden sich selbst ändern, d. h. auch ihre eigene Kommunikation mit sich selbst also ihr psychisches System würde sich ändern, aber das ist hier nicht der Fokus. Möchten Eltern das, empfehle ich ihnen, sich in einer Beratungsstelle oder bei einem Psychotherapeuten vorzustellen. Unser Fokus im Elterncoaching bezieht sich explizit auf die Änderung der Kommunikation zu den Kindern, d. h. auf das soziale System Familie.

Aus ebenso alter Gewohnheit neige ich immer wieder dazu, auch weil es sprachlich flüssiger aus der Feder kommt, zu schreiben, die Eltern sollten Max anders „behandeln“. Die Formulierung ist uns umgangssprachlich geläufig. Da wir uns hier jedoch mit systemischen und zirkluären Fragen beschäftigen, ist mir dieser Ausdruck „behandeln“ allzu linear geprägt. Gleich wohl nutze ich ihn gelegentlich, um zu sperrige Formulierungen zu vermeiden. Sprache formt das Denken, Denken formt die Sprache.

(2) siehe auch www.herwig-lempp.de/daten/veroeffentlichungen/0203maschinenJHL.pdf