Familienrekonstruktion

8 Tage Familienrekonstruktion mit 12 TeilnehmerInnen: 9 Kolleginnen und 3 Kollegen.

TherapeutInnen, die familien-systemisch arbeiten, setzen sich mit ihren eigenen Erfahrungen in vergangenen, gegenwärtigen und möglichen zukünftigen Familien-/Systemen auseinander.
Die eigenen Prägungen und deren Wirkungen und Wechselwirkungen werden dadurch verständlicher. Von Interesse sind dabei vor allem die Regeln, Sinngehalte, Verhaltensweisen und Kommunikationsmuster, die von einer Generation an die nächste/n weitergegeben werden.

Die Familienrekonstruktion ist eine diagnostische und therapeutische Methode, mit der die spezifischen familiären Beziehungsmuster erkannt und szenisch dargestellt werden können. Dabei geht es u. a. um Nähe und Distanz zwischen den Familienmitgliedern, um familiäre Hierarchien, um nonverbales Ausdrucksverhalten und um die bezogene Individuation.

Kurze Teilnehmer-Feedbacks zur Woche

Achterbahnen der Gefühle.
So nah ran und gleich wieder weg.
Die Woche war beseelend.
Wir haben so viel geweint und so viel gelacht.

Konzept

Die Familienrekonstruktion ist eine Form der Mehrgenerationen-Familientherapie. Sie sieht Symptome u. a. als Ausdruck der Beziehungsmuster und Wirkfaktoren zurückliegender Generationen, die in das aktuelle Leben hineinragen, sich mit der Zeit verdichten und dann in symptomatischer Form wieder zum Ausdruck gebracht werden.

Das Familiensystem wird daher unter zwei Aspekten betrachtet:

  • die Herkunftsfamilien des Vaters und der Mutter;die Mitglieder der gegenwärtigen Familie (Heimatsystem): Vater, Mutter, Geschwister, wichtige Verwandte und nahe Bezugspersonen (Herkunftsfamilie).
  • Die derzeitige Familie (das Heimatsystem) ist neben anderen Faktoren ein Ausdruck dessen, was Vater und Mutter in ihren Herkunftsfamilien gelernt, was sie daraus gemacht und wie sie es an ihre Kinder (den/die Klientin) weitergegeben haben.

Methoden

In der Familienrekonstruktion werden verschiedene methodische Elemente angewendet, unter anderem

  • die Familienskulptur,
  • der Familienstammbaum oder das Genogramm,
  • die Chronologie der Personen der Herkunftsfamilie, der eigenen Person und der Familienereignisse,
  • das Beziehungsrad,
  • die Überlebensregeln nach V. Satir.

Selbsterfahrung

Wissen

  • Kennenlernen von Genogrammarbeit und Skulpturarbeit

Fertigkeiten

  • Prozesse innerhalb des Familienrekonstruktionsgeschehens assoziieren können,
  • über ein breites Spektrum von Rollenerfahrungen zu verfügen,
  • die Fähigkeit, verschiedenste Perspektiven (u. a. mehrgenerational) einnehmen zu können.

Sozialkompetenz

  • Die Einflüsse aus der eigenen Herkunftsfamilie in Beratungsprozessen als förderlich oder hinderlich wahrnehmen zu können.

explizite therapeutische Kompetenz

  • An der eigenen Entwicklungsgeschichte zu erfahren und zu erleben, wie man als Einzelne/r mittels der Gestaltung von Kommunikation in zirkuläre Prozesse integriert ist und diese über den Abgleich von Selbst- und Fremdreferenz mitbestimmen und gestalten kann;
  • wie mittels Hypothesenbildungen und therapeutischem Fokussieren und wiederum erneuter Hypothesenbildung viele Wege nach Rom führen können;
  • mit dem therapeutischen Paradoxon umgehen können: als Therapeut interveniere ich mit zielorientierten Absichten und weiß doch nicht, was der Klient daraus macht bzw. unsere therapeutische Beziehung seinerseits ganz anders gestalten wird.

Selbständigkeit

  • Die prägenden Geschehnisse in der eigenen Herkunftsfamilie reflektieren, die eigenen familiären Muster kennen und diese Erfahrungen in den professionellen Kontexten nutzen zu können.

Darüber hinaus

  • das Selbstwertgefühl zu verbessern;
  • Anschluß an die eigenen Kräfte und Ressourcen zu finden;
  • die Herkunftsfamilie von Mutter und Vater und die eigene Herkunftsfamilie neu zu erfahren;
  • aktiv in den Prozeß einzutauchen, so daß kritische Szenen neu und anders durchlebt werden können;
  • Mutter, Vater, Geschwister und sich selbst als Individuen wie als Systemmitglieder wahrzunehmen;
  • sich mit der eigenen Situation zu versöhnen und sich doch selbst zu schützen;
  • und noch viel mehr, das neue Sichtweisen und Beziehungsgestaltung ermöglicht.

Die praktische Umsetzung einer Familienrekonstruktion (im folgenden kurz Reko genannt) in einer Weiterbildungsgruppe folgt einem bestimmten Setting.

Die Idealbesetzung für 8 Tage (jeweils Samstagmittag bis Samstagmittag) besteht in 12 Teilnehmenden.

Für die Reko eines Teilnehmenden sollte man 3-5 Zeitstunden einplanen.

Wobei man zeitlich auch einplanen sollte, daß im Verlauf der Woche nach einer Reko, dem Star (siehe unten) oder den Lehrenden Aspekte einfallen, die ein Nacharbeiten in einer 2. Reko oder einer Nachbesprechung sinnvoll erscheinen lassen.

Der 1. Tag ist für die ersten Vorbereitungen reserviert und an jedem der folgenden 6 Tage finden jeweils 2 Rekos, wobei es Einheiten geben kann, die vormittags, nachmittags oder auch abends bis in die Nacht stattfinden. Der 8. Tag dient der Abschlußreflexion, der Evaluation und der Vorbereitung auf die Heimreise.

Der erste Tag beginnt mit der Aufteilung in 3er Kleingruppen, den Triaden, die über alle 8 Tage zusammen arbeiten. Jede Triade besteht in dreimal wechselnden Rollen aus

dem Star = dem Reko-Protagonisten

dem Guide, der den Star durch seine Reko begleitet

dem Beobachter, der aufpaßt, daß sich der Guide nicht (in Gegenübertragungswiderstände) verstrickt, sondern den Überblick behält.

Es wird ein vorläufiger Ablaufplan für die Woche erstellt und je nach Arbeitsfortschritten der Kleingruppen wird der Plan immer wieder angepaßt.

So konzentriert sich der 1. Tag auf die Einzelarbeiten der Teilnehmenden, die folgende Präsentationen erstellen:

  • 1 Genogramm
  • je 1 Chronologie von sich selbst, von Vater und von Mutter und jedem Geschwister
  • 1 Beziehungsrad mit allen Botschaften an die eigene Person
  • welchen Sinn das eigene Leben hat und das von Vater, Mutter, Geschwistern und Großeltern
  • welche Überlebensregeln es gibt (V. Satir)
  • und wie die Reko-Frage lautet.


In der Kleingruppe stellt dann der Star dem Guide das eigene Material vor.

Wenn der Guide über alle bedeutsamen Informationen verfügt erfolgt der nächste Schritt:

Die eigentliche Rekonstruktion in der Großgruppe

Vorbereitung vor der Großgruppe mit Star, Lehrenden und Guide und Beobachter:

  • Der Star hängt sein Material an die FlipChartWände und geht dann 1 Stunde spazieren.
  • Der Guide unterrichtet mit Unterstützung des Beobachters die beiden Lehrenden über das Material seines Stars. Dabei wird auch die Plausibilität und Sinnhaftigkeit der Reko-Frage überprüft.
  • Lehrende und Guide mit Beobachter überlegen, wie man die Reko angehen könnte; auch welcher der beiden Lehrenden die Reko durchführen sollte.

Dann erfolgt der entscheidende Schritt:

Der Star stellt unter Begleitung eines Lehrenden der Großgruppe das eigene Material vor und präsentiert die eigene Reko-Frage.

Der Star stellt in Begleitung eines Lehrenden der Großgruppe das eigene Material vor und präsentiert die eigene Reko-Frage.

Einer der zuschauenden Kollegen übernimmt die Protokollierung der einzelnen Schritte und bedeutsamer inhaltlicher Aspekte.

Meist beginnt man mit dem Mehrgenerationengenogramm und je nach ersten Fokussierungen durch Star oder Lehrenden werden auch einzelne der anderen Informationsquellen (Chronologien, Überlebensregeln etc.) ergänzend hinzu gezogen.

Die Vorstellung

kann durchaus 1-2 Stunden in Anspruch nehmen.

Dann erfolgt eine Pause, in der sich beide Lehrende mit Guide und Beobachter in einen getrennten Beratungsraum (Kaminzimmer) zurückziehen. Sie reflektieren und überprüfen immer in Bezug zur Reko-Frage, die im Vorbereitungsgespräch gebildeten Hypothesen und bilden neue oder zusätzliche.

Der Fokus

Im zweiten Schritt wird wieder unter Bezug auf die Reko-Frage überlegt, mit welchem Fokus der Lehrende mit dem Star vor der Großgruppe am vorgestellten Material arbeiten kann.

Dies geschieht dann – alle treffen sich in der Großgruppe wieder: die Teilnehmer, Beobachter und der 2. Lehrende sitzen in einem Halbkreis.

Der 1. Lehrende und der Star beginnen zu arbeiten.

eine Fokusänderung

Sollten beide oder einer der beiden den Fokus ändern wollen, wird abermals eine Beratungssequenz im Kaminzimmer eingelegt. Meist werden Star und die restlichen zuschauenden Teilnehmer gebeten, nichts zu besprechen, sondern zu schweigen bis die Beratungsrunde zurückkehrt.

Die szenische Darstellung

In dieser Beratungssequenz wird dann oft auch überlegt, wie der bisherige oder der neue Fokus szenisch dargestellt werden kann, um vom rational reflektierenden Modus auf einen affektiv-erlebnisorientierten Modus umzuschalten.

Siegmund Freud auf der Parts Party

Hierzu bieten sich explizite Methoden an, wie z. B.

  • die Partsparty
  • das Tetralemma
  • die Timeline
  • eine Skulpturierung
  • die Nähe-Distanz-Übung
  • die Metaposition

oder auch implizites Vorgehen mit

  • szenischen Rollenspielen
  • Dramatisierungen
  • bildlichen Darstellungen
  • (eingestreuten) Geschichten und Metaphern, Märchen, Filmszenen etc.
  • und alles in allem sind der Kreativität aller Beteiligten keine Grenzen gesetzt.

In dieser erlebnisorientierten Sequenz stellen häufig andere Teilnehmer Schlüsselpersonen, Ego-States, Positionen etc. des Stars da. Der erste Lehrende bleibt immer an der Seite des Stars, während der zwiete Lehrende häufig benötigt wird, um z. B. die mitspielenden, darstellenden anderen Teilnehmer in ihren jeweiligen Rollen zu unterstützen und ihnen auch Gehör zu verschaffen. So kommt es zumeist zu einem Dialog zwischen dem Star und den Rollenspielenden.

Oder es werden die Rollenspielenden untereinander in einen expliziten Dialog gebracht, was dem Star dann wiederum eine Beobachterposition verleiht.

Der Prozeß einer Familienrekonstruktion kann in unterschiedliche Ergebnisse münden:

Der Star hat plötzlich ein AHA Erlebnis in Bezug auf die Reko-Frage.

Es entsteht ein Reframing der Reko-Frage und damit eine neue Sichtweise.

Es kann etwas betrauert, bedauert, ergänzt, vervollständigt oder in seiner verwirrenden Komplexität reduziert werden und verschafft Beruhigung, Erleichterung etc. Man kann sich ebenso freuen, begeistern oder würdigen.

Der Reko-Prozeß öffnet sich zu neuen komplexeren Sichtweisen oder Aspekten, die eine Weiterarbeit in einem anderen Kontext sinnvoll erscheinen lassen, wie z. B. eigene Therapie aufsuchen, Reflexion mit Personen am Arbeitsplatz oder im Herkunfts- oder Heimatsystem.

Der Prozeß endet mit einer Verabschiedung zwischen Star und Lehrendem und einem Dank an Guide und Beobachter.

Es folgt nach Abschluß der Familienrekonstruktion eine kurze Pause.

Das Plenum setzt sich in einen Kreis, wobei der Star neben „seinem“ Lehrenden Platz nimmt und die beiden Lehrenden ebenfalls nebeneinander sitzen.

Feedback-Runde

Die Kolleginnen und Kollegen, die dem Prozeß zugeschaut haben, geben dem Star Rückmeldungen zum zurückliegenden Prozeß: was sie beobachtet haben; Gegenübertragungsreaktionen; was sie gefreut, geängstigt, bewegt hat; Assoziationen zur eigenen Person und Geschichte mit Unterschieden und Ähnlichkeiten.

Es folgt eine ausgiebige Pause

in der sich die Lehrenden zu Querverbindungen der Weiterbildung Gedanken machen und Theorie-Methodik-Bezüge zusammenstellen.

Theorie-Methodik-Auswertung

Dem Star ist die Teilnahme an dieser Runde freigestellt. Manche Stars möchten erstmal alleine seim und verarbeiten.

Die Teilnehmer können nun eigene fachliche Beiträge beisteuern und Fragen stellen.

Die Lehrenden reflektieren den Prozeß aus Theorie-Methodik-Sicht und ergänzen dies mit Hinweisen zu Literatur etc.

In dieser Reko entwickelte sich der Schwerpunkt auf die Betrachtung wie sich mittels spezifischer Kommunikationen Systeme konstellieren,

  • selbstreferentiell gestalten (u. a. auch wie können sie Metapositionen nutzen, um sich selbst zu steuern und zu verändern) und
  • fremdreferentielle Einflüsse kommunikativ verarbeiten. So ging es u. a. um die Ex-Kommunikation von Emotionen (Psychosomatik) und die Ex-Kommunikation von Kommunikation (Psychotisches Erleben).

Komplexe und bewegende Familienrekonstruktionen mit beeindruckenden Kolleginnen:

  • Achterbahnen der Gefühle.
  • So nah ran und dann wieder weg.
  • Wir haben so viel geweint und so viel gelacht.

Auf der methodischen Ebene zeigten sich die Teilnehmenden immer wieder beeindruckt über die Hypothesenbildungen und deren fortwährende Überprüfung und Revidierung und der Bildung wieder neuer Hypothesen und wieviele methodische Wege nach Rom führen können.

Die Beratungsrunden

zwischen den Lehrenden und den Guides und Beobachtern erfolgten auf Augenhöhe.

Die Beteiligten konnten sich sowohl von Gegenübertragungsaspekten einfangen und leiten lassen, wie sich ebenso alle wieder auch in eine reflektierende Metaposition begeben konnten.

Wir erlebten lebendige Phasen der Kooperation und auch Gegenpositionen und alle zeigten sich so souverän, daß auch Positionen vertagt oder vorläufig liegen gelassen oder später wieder aufgenommen werden konnten. Hypothesen über Hypothesen.


Familienskulptur ist eine von Virginia Satir in den 1970er-Jahren entwickelte Methode in der Familientherapie, zur erlebenden Darstellung und therapeutischen Arbeit an Familienbeziehungen. Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Skulptur_%28Familientherapie%29.

Als meine Kinder allmählich aus dem Alter heraus wuchsen, mit Playmobil zu spielen, nutzte ich einen Teil des angesammelten Fundus für meine Beratungs- und therapeutische Arbeit. Seitdem stehen sie, die Playmobil-Männchen, -Frauen und -Kinder miteinander auf der Kabelkanalleiste in meiner Gesprächsecke und warten geduldig auf den nächsten Einsatz und die nächsten Klienten, die mir mit ihrer hilfreichen Unterstützung dann deren Familiensystem veranschaulichen können.


„Der ‚Vater‘ der Playmobil-Figuren, Horst Brandstätter, ist tot. Er starb am 03.06.2015 im Alter von 81 Jahren, wie das Unternehmen mitteilte. Das Spielzeug aus Zirndorf (Lkr. Fürth) eroberte viele Kinderzimmer“ … und auch mein Therapeutenzimmer ! Vielen Dank !