12.1 Elternpräsenz

„Elterliche Präsenz – im ursprünglichen Wortsinn verstanden als „Anwesenheit“ der Eltern im Leben ihres Kindes – kann verloren gehen, wenn konflikthafte Zuspitzungen zwischen Eltern und ihren Kindern so sehr Teil des Alltags der Familie geworden sind, dass die Eltern diese Prozesse nicht (oder nicht mehr) konstruktiv handhaben können.“ (1)

Die meisten Eltern, die mich als Profi um Unterstützung bitten, wenn ihre Jugendlichen begonnen haben, Rauschmittel zu konsumieren, haben bis zum Beginn der Pubertät alles für ihre Kinder verantwortlich getan. Ein Teil dieser Eltern war schon vor Pubertätsbeginn hohen Anforderungen ausgesetzt. Ich erinnere mich an Eltern mit Asperger Kindern, mit ADHS Kindern, denen jahrelang, z. T. auch unverantwortlich, Metylphenidat (Ritalin etc.) verordnet wurde, ohne diesen Eltern entsprechende Unterstützung im Erziehungsverhalten anzubieten, mit Kindern mit leidvollen Schulerfahrungen und vielem anderen mehr. Fast alle Eltern haben sich aber nach besten Kräften bemüht, ihre Kinder lebenstüchtig zu machen.

Wie schon erwähnt, gibt es keinen breiten gesellschaftlichen Konsens dazu wie eine „gute“ Erziehung aussehen sollte bzw. auf welcher Entwicklungsstufe eines Kindes jeweils die Eltern-Kind-Beziehung so gestaltet werden kann, daß Kinder selbständig, eigenständig und mit hohen Schutzfaktoren gegen Selbstschädigung aufwachsen können.

Ohne Zweifel stellt Rauschmittelkonsum oder eine Phase mit ständigem Onlinespielen Eltern vor eine besondere Herausforderung. Elternpräsenz meint nun in diesen Kontexten nicht, daß Eltern bei allem kommentarlos zuschauen sollten. Elterliche Präsenz kann bestehen aus:

Standpunkte haben

Eltern sollten Standpunkte, Meinungen, Werte vertreten, die sich nicht nach denen der Kinder richten, sondern unabhängig von den Kindern entwickelt werden. Das heißt nicht, daß diese Standpunkte unveränderlich seien. Deren Veränderungen sind auf keinen Fall situationsabhängig, sondern eher grundsätzlicher Natur, d. h. sie wechseln nicht ständig, sondern eher selten und nur nach gründlichem Reflektieren.

Eltern entwickeln gemeinsame Standpunkte.

Standpunkte vertreten

Das Vertreten dieser Standpunkte vegleiche ich mit dem Fels in der Brandung. Kinder benötigen diese Standpunkte für die eigene Orientierung. Wir können nicht erwarten, daß die Kinder unsere Standpunkte und Meinungen übernehmen. Sie sollen eigene entwickeln. Wenn sie Teile unserer Standpunkte übernehmen, finden wir das gut und schön. Um aber alternative Standpunkte zu entwickeln, brauchen die Kindern unseren Fels in der Brandung.

Eltern vertreten gemeinsam diese gemeinsamen Standpunkte.

Standing – Stehvermögen haben

Wenn wir auch bei Gegenwind bei unseren Standpunkten bleiben, zollt man uns Respekt. An einen Fels in der Brandung kann man sich anlehnen und kann die Kraft, Standfestigkeit und Sicherheit spüren. So ein Fels ist unverrückbar und deshalb immer da – er braucht einfach nur da sein, d. h. Eltern brauchen „einfach“ nur da und präsent sein, ob das Wetter schön ist oder ein Sturm kommt. Haim Omer benutzt alternativ die Metapher der Ankerfunktion. (2)

Eltern lassen sich situativ nicht herausfordern, sondern zeigen, daß sie ein Fels in der Brandung sein wollen.


(1) Barbara Ollefs. Jugendliche mit externalem Problemverhalten – Effekte von Elterncoaching. 2008 Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades Dr. phil. der Psychologie des Fachbereichs Humanwissenschaften der Universität Osnabrück.
PDF Download https://repositorium.uni-osnabrueck.de/bitstream/urn:nbn:de:gbv:700-2008051416/2/E-Diss788_thesis.pdf

(2) Haim Omer. Ängstliche Kinder unterstützen. Die elterliche Ankerfunktion. Göttingen 2015