11.2.2 Durchführung der Sendepause

Meine Ausgangshypothese: Das was Max in der Sendepause, positiv wie negativ, entwickelt und zeigt, hätte er früher oder später auch gezeigt und gemacht. Die Sendepause bringt in der Regel nicht Neues hervor.

Da Max in der Sendepause seitens der Eltern nicht in die eine oder andere Richtung gedrängt und beeinflußt wird, lernen wir nun den „wahren“ Max kennen. Es wird in der Regel jedoch ca. 3 Monate dauern bis Max wirklich glaubt, daß sich die Eltern dauerhaft und verläßlich geändert haben und sich in sein Leben nicht mehr einmischen. Wir müssen die Eltern daher auf eine Phase der Geduld vorbereiten.

Dazu ist eine Psychoedukation über das Gehirn und die Rolle der Amygdala hilfreich. Der 1. Blog :: Grundlagen von Kommunikation und Hirnforschung

Die Sendepause startet und die Eltern gehen deutlich Max aus dem Weg. Das Schweigen bezieht sich auf beide Formen: keine verbale und keine nochverbale Sprache, soweit man laut Watzlawick nicht nicht kommunizieren kann.

Eltern stellen in der Vorbereitung bestimmte Fragen nach dem familiären Tagesablauf, weil sie noch keine Vorstellung davon haben, wie mit dieser „künstlich“ gestalteten Phase konkret umgegangen werden sollte:

Ein Schritt nach dem anderen

Während der Sendepause soll das Familienleben seitens der Eltern seinen gewohnten Gang weiter gehen – außer daß sie nicht mehr kommunizieren.
Entweder wir planen bestimmte Veränderungen der Verselbständigung, z. B. Max soll lernen, seine Wäsche selbst zu versorgen, vor Ankündigung der Sendepause oder wir verschieben, das auf die Zeit nach der 14 tägigen Sendepause.

Die Entscheidung hängt maßgeblich davon ab, wie Eltern und Berater die Gefährdung von Max einschätzen und auf welche „Baustellen“ man sich konzentrieren sollte. Sollte es schon möglichst bald um die Forderung nach Konsumfreiheit gehen, oder kann diese Forderung noch etwas warten und wir versuchen zunächst über andere Bereiche wieder Zugang für die Eltern zu Max zu bekommen.

Was sollte für die 14tägige Sendepause bedacht werden?

Morgentliches Wecken

Kinder sollten es bis zum Beginn der Pubertät gelernt haben, morgens selbständig und ohne Hilfestellung der Eltern aufzustehen. Sollte Max immer noch durch die Eltern geweckt werden oder gar mehrfach ermahnt werden, nun endlich aufzustehen, muß vor der Ankündigungssituation Max mitgeteilt werden, daß es nun an der Zeit sei, morgens selbständig aufzustehen. Die Eltern können Max einen Wecker schenken, was meist aber wenig sinnvoll ist, weil Max sein Smartphone nutzen wird, aber man kann ihn ja mal fragen.

Dazu gehört selbstredend, daß Max nicht geweckt wird, sollte er nicht aufstehen. Wir wollen aus diagnostischen Erwägungen in Erfahrung bringen, wie sich Max verhalten wird, wenn er 14 Tage seitens der Eltern völlig in Ruhe gelassen und nicht beeinflußt wird. (Siehe dazu Abschnitt 5.2 bezogene Individuation)
Sollte Max aus dieser Morgensituation heraus eine Schulverweigerung entwickeln, haben wir eine weitere Baustelle, die wir in unsere Überlegungen einbeziehen werden, müssen aber zunächte das Ende der Sendepause abwarten. Es könnte ja sein, daß Max wissen will, wie die Eltern bis zum Ende der Sendepause reagieren.

Es gilt insgesamt für alle Provokation oder ungewöhnlichen Verhaltensweisen, abzuwarten, ob Max bei seinem Verhalten bleibt. Bisher war er gewohnt, daß die Eltern reagieren – mal so oder mal so. Was aber macht Max, wenn die Eltern bei dem bleiben, was sie angekündigt haben? Für viele Maxe dürfte das ein neues Elternverhalten sein.

Essenzeiten

Beide Eltern sollten ab sofort als erste aufstehen und den Frühstückstisch decken. Alles steht da und es bleibt Max überlassen, was er sich nimmt und benutzt. Es werden keine Brote geschmiert oder ihm etwas anderes für den Tag hingestellt. Wir wollen auch hier in Erfahrung bringen, ob oder wie sich Max für den Tag versorgt und wie selbständig er sich organisiert.

Sollte ein Elternteil nach Max das Haus verlassen, so wird dieser Elternteil für das Abräumen des Frühstückstisches sorgen.

Sollten beide Eltern vor Max das Haus verlassen, dann räumen sie den Tisch ebenfalls ab, inklusive aller Lebensmittel. Für Max bleibt das Geschirr stehen. Die Lebensmittel muß er sich selbst nehmen.

Sollte er danach alles stehen lassen, wird dies am Abend von den Eltern klaglos – Sendepause ! – weggeräumt.

An Wochenenden lassen die Eltern Max schlafen. Das Frühstücksgeschirr steht bis maximal 11 Uhr und wird dann weggeräumt.

Zu den anderen Mahlzeiten finden sich die Eltern am Eßtisch ein und stellen für Max Geschirr hin. 10 Minuten vor Beginn der Mahlzeit wird Max informiert, indem ein Elternteil an seine Zimmertüre klopft und sagt, es gäbe in 10 Minuten Essen. (Nicht ins Zimmer gehen oder auf Antwort warten! Selbst dann nicht, wenn man weiß, daß er mit Kopfhörern am PC sitzt. (1))

Die übrigen Essenszeiten werden für die 14 Tage Sendepause im Vorhinein festgelegt und aufgeschrieben und evtl. an ein schwarzes Brett gehangen. Sollte Max fragen, wann es Essen gäbe, wird ihm dieser Zettel gegeben mit einem zugewandten liebevollen Lächeln – aber erst dann, wenn er selbst fragt.

Die Eltern werden ermuntert, künftig Sonderwünsche, die Max bisher erfüllt bekam, zu ignorieren. Die Eltern kochen und essen ganz bewußt das, was sie selbst mögen. Sollte allerdings Max vegetarisch essen, wird auch etwas Fleischloses bereitgestellt.

Nimmt Max an Mahlzeiten nicht teil, wird das Gekochte für 24 Stunden im Kühlschrank bereitgestellt. Danach wird es entsorgt bzw. eingefrohren. Max wird hierüber nicht informiert – er soll es selbst herausfinden. (Alltagskompetenzentwicklung)

Zu jenen Mahlzeiten, an denen Max teilnimmt, können sich die Eltern miteinander unterhalten und austauschen. Sollte Max sich beteiligen wollen, wird er auf die Sendepause aufmerksam gemacht. Sollte Max von sich aus anfangen, aus seinem Alltag zu erzählen, wird er spätestens beim 2. Satz ebenfalls auf die Sendepause hingewiesen. „Tut mir im Moment leid Max, aber wir brauchen die Sendepause.“

Ordnung

Alle Gemeinschaftsleistungen versorgen die Eltern. Das Zimmer von Max wird ab sofort nicht mehr betreten, in den 14 Tagen auch nicht mittels Anklopfen, auch nicht heimlich! Wir wollen auch herausfinden, wie Max sich sonst in der Wohnung oder im Haus „tummelt“. Viele Jugendliche haben nicht nur Unordnung im eigenen Zimmer, sondern machen diese auch in den anderen familiären Räumen. Sollte das bei Max der Fall sein, werden die Eltern eine dieser Faltboxen aus dem Baumarkt besorgen, und alles, was Max in den Gemeinschaftsräumen liegen läßt, wird von den Eltern möglichst schnell, aber so daß es Max nicht unmittelbar sieht, in die Box gelegt. Die Box steht vor Max Zimmer, neben der Türe – bitte so daß er nicht direkt darüber fällt. Das soll nicht als elterliche Provokation verstanden werden, sondern als reine Ordnungsmaßnahme. Sobald die Box voll ist, werden Gemeinschaftsgegenstände heraus sortiert, (z. B. schmutziges Geschirr, das Max im Wohnzimmer stehen ließ; das wandert dann in die Spülmaschine.) und Max’ Gegenstände werden in einen dieser großen blauen Müllsäcke gestopft. Dieser wird in den Keller gebracht und solange in ihm Platz ist, werden weitere volle Körbe umgefüllt. Das wird wieder ebenso heimlich gemacht, ohne daß Max es unmittelbar mitbekommt.

Max wird irgendwann realisieren, daß seine Sachen weg sind und er wird fragen. Egal ob Max freundlich und höflich oder provokant, frech, unverschämt fragt, das vernachlässigen wir in diesen 14 Tagen (wir nehmen in späteren Phasen dazu einen anderen Bezug) die Eltern sagen so cool und neutral sie es hinbekommen: „Du findest alles im blauen Sack im Keller.“ Dann sollten sich die Eltern umdrehen und mit gezeigter Entspanntheit aus der Situation rausgehen.

Haustiere

War es bisher Max Aufgabe, Haustiere zu versorgen, z. B. mit dem Hund rauszugehen, so ist er, ohne daß dieses kommuniziert würde, davon entbunden und die Eltern kümmern sich selbst.

Max reagiert

14 Tage Sendepause sind eine Ausnahmesituation. Wird nun Max mit diesem und jenem ankommen und etwas zu den Eltern sagen, etwas machen oder haben wollen, gleich ob dieses von den Eltern als positiv oder negativ bewertet wird, sie werden immer und immer wieder die Hand zu einem Stoppzeichen erheben und sagen: “Max, wir haben Sendepause!“ Die Eltern sollten möglichst immer als erste die Situation verlassen. Siehe 12.5.2.1 Körpersprache bei Konfrontationen

Sammeln und notieren Sie als Berater und Coach mit den Eltern, was diese erwarten. Womit wird Max ankommen? Was wird er von den Eltern wollen? Hier ein paar Beispiele:

  • Ich habe kein Geld mehr. Kannst Du mir was leihen?! Eltern: „Sendepause.“
  • Mein Fahrrad hat einen Platten. Eltern: „Sendepause.“
  • Ich will am Samstag zu der und der Veranstaltung. Kannst Du mich abholen?! Eltern: „Sendepause.“
  • Es ist so schönes Wetter. Soll ich mal den Rasen mähen?! Eltern: „Sendepause.“
  • Ich habe eine Eins im Mathe! Eltern: „Sendepause.“
  • Ich brauche hier für die Schule eine Unterschrift. Eltern: „Sendepause.“
  • Ich habe Zahnschmerzen. Eltern: Warte bitte kurz. Eltern schreiben auf einen Zettel Name, Anschrfit und Telefonnummer des Arztes und geben ihn mit einem fürsorglichen Lächeln Max. Sollte der nun … „Max. Bitte. Sendepause“

Handzeichen

Das Ansprechen der Sendepause wird immer unterstützt mit dem Heben einer flachen Hand als Stoppsignal. Sollte Max mehr als fünfmal mit der Kurzformel und der Stopphand konfrontiert worden sein, kann versuchsweise der verbale Teil weggelassen werden. Max dürfte auf die Stopphand konditioniert sein.

Auf 2 kurze Formeln gebracht geht es darum

Zurückhaltende Bezogenheit zeigen

Jedes positive Verhalten, das Max in diesen 14 Tagen gegenüber den Eltern zeigt, wird mit einem liebevollen Lächeln quittiert.

Durchgängige Individuation zeigen

Jedes unerwünschte Vehalten, das Max zeigt, wird ingnoriert – kein Wort, kein Blickkontakt, keine Mine verziehen, keine Gestik, keine sonstige Körpersprache.

Auch gehen die Eltern aus dem Haus, ohne eine Information, Ankündigung oder Verabschiedung. Es ist ja Sendepause.

Tägliches Protokollieren

Der Coach bittet die Eltern, sich ein Heft anzuschaffen und tägliche Vorkommnisse bzw. das Verhalten, das Max in Situationen zeigt oder eben nicht zeigt, zu notieren um das zur nächsten Sitzung dem Coach mitzubringen.


(1) Eine Zwickmühle in der man als Eltern nur etwas falsch machen kann: Hat er das Klopfen wegen der Kopfhörer nicht gehört, würde man das Zimmer ohne Zustimmung betreten und daraus könnte sich der nächste eskalierende Konflikt entwickeln. Geht man nach dem Klopfen „wortlos“ wieder, kann es sein, daß man Vorwürfe bekommt, warum man ihm nicht Bescheid gesagt hätte. Das wird künftig alles nicht mehr „diskutiert“, weil es nun um das Ziel „Sicherstellung der konsumfreien Gesundheit“ geht.