2.3.6 Das Problem

Wir vermeiden* es aus systemischer Sicht, einen Menschen als krank, z. B. psychisch krank, suchtkrank oder gestört zu betrachten und zu bezeichnen, sondern externalisieren (1) das Vermeindliche: jemand hat eine Depression, hat eine Angststörung, also eine Angst, die ihn stört, hat etwas, wie er auch ein Auto oder ein Fahrrad hat. Das kann man sich anschaffen. Wenn man es hat, kann man es benutzen oder auch stehen lassen und wenn es seinen Zweck nicht mehr erfüllt, auch wieder los werden und schaftt sich etwas anderes an, um voran zu kommen, je nach Zeit und Kontext.

Nicht der Mensch ist der Patient, sondern das Problem ist der Patient. (2)
Nicht der Mensch muß sich (grundlegend) ändern, sondern wir ändern gemeinsam das Problem.

In der Einzelberatung und Einzeltherapie sitzen wir zu Dritt:
der Therapeut, das Problem als Patient und der Pat…, ach nein, den können wir ja jetzt so nicht mehr nennen – der Mensch, der sein Problem verändern möchte. (Ich spreche hier absichtlich nicht von Beseitigung des Problems, denn es wird eine Bedeutung, eine Funktion im Leben dieses Menschen haben und wir arbeiten daran, „es“ so zu verändern, daß es nicht mehr stört. Beseitigung reißt Löcher, dann fehlt etwas, etc.)

In der Paar- und Familienberatung/-therapie sitzt das Problem als Patient mit in der Runde, mit im Beratungssystem und alle anwesenden Menschen „kümmern“ sich gemeinsam um den Patienten, also das „Problem“.

Nicht immer, aber oft hat dieser Patient (das Problem) eine beziehungsgestaltende Funktion für das System. Nach Luhmann (3) entstehen Systeme und gestalten sich Systeme mittels Kommunikation. So wird das Problem erst durch Kommunikation und seine Narrationen zum Problem. Ohne Kommunikation und Narration kein Problem.

Beim Einzelnen, der alleine lebt, vielleicht auch ziemlich sozial isoliert lebt, vollzieht sich Kommunikation überwiegend innerlich zwischen seinen Ego-States (4) oder zwischen Selbst- und Fremdreferenz (5, 6), da jeder mit sich selbst oder anderen und immer innerhalb eines Kontextes kommuniziert.

In Paar- und Familiensystemen oder auch Teams, Arbeitsgruppen etc., wird über das Problem oder mittels des Problems kommuniziert und diese Kommmunikation wird anders gestaltet, „sähe“ das Problem nicht so, sondern anders aus. Es kommt maßgeblich darauf an, wie das Problem erzählt wird – was und wie sind die Narrationen?


  • Wir nutzen diese Konstruktionen, um gut arbeiten zu können, brauchen aber die Pathologisierung von Menschen, um u. a. Therapiekosten erstattet und bezahlt zu bekommen.

(1) Michael White, Die Zähmung der Monster
(2) Steve de Shazer
(3) Niklas Luhmann, Soziale Systeme – Grundriss einer allgemeinen Theorie
(4) Woltemade Hartman, Einführung in die Ego-State-Therapie
(5) Harald Wasser, Sinn – Erfahrung – Subjektivität, 1995, S. 73ff
(6) Roland Schleiffer, Das System der Abweichungen