7.3 die beziehungsgestaltende Funktion
Paare und Familien können im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte in ein Fahrwasser geraten, daß sie ihre Kompetenz, sich wahrhaftig miteinander auszutauschen und sich um die eigenen und gegenseitigen Bedrüfnislagen zu kümmern, vernachlassigen oder einbüßen. Sie greifen dann gelegentlich zu einem sich anbietenden Problem, um das sich künftig die Kommunikation dreht, wie der Tanz ums goldene Kalb. (1)
Die Beziehungsgestaltung wird dann nicht mehr von den beteiligten Familienmitgliedern kooperativ mittels bezogener Individuation kommunizierbar gemacht, indem jeder die eigenen Bedürfnislagen und die der anderen im Blick hat und sich kooperativ um einen Ausgleich bemüht. Wenn das verloren geht, muß etwas Drittes oder Externes her: ein Suchtstoff bzw. eine Suchtpräsenz, es kann aber auch Verschuldung sein oder eine Psychose oder ein Mißbrauch usw.
Einige Bedingungen, die wir in Familien mit Suchtpräsenz finden (2)
- Die Familienmitglieder richten sich nach den Bedürfnissen und Erwartungen der anderen Familienmitglieder aus. Es ist keine Klime vorhanden, sich um die eigenen wirklichen Bedürfnislagen kümmern zu dürfen.
- Man verwehrt sich und habe kein Recht auf ein bedürfnisorientiertes und lustvolles Leben, sondern muß sich kontrolliert zeigen.
- Man muß sich für alles in der Familie als verantwortlich fühlen. Es gibt keine andere Entschuldigung als (sucht-) krank zu sein.
- Würde man sich anderen gegenüber abgrenzen, macht man sich schuldig. (Die Suchtpräsenz erleichtert und entschuldet das.)
- „Es gibt nur eine ‚richtige‘ Sichtweise.“ Abweichungen müssen vermieden werden und dürfen nicht sein. Alles andere wird mit Schuldgefühlen belegt.
- „Hat jemand Probleme, kann dies nur heißen, daß man für ihn die Verantwortung übernehmen und ‚es‘ für ihn regeln muß, da er ja nicht selbst weiß, was für ihn gut ist.“ (2, S. 333)
- Wünsche nach Autonomie (anders sein als die anderen; Individuation) werden nur akzeptiert über (Sucht-) Kranksein.
„Strukturell lassen sich die Suchtinteraktionen als ein Pendeln zwischen zum Teil sehr starren, extrem komplementären und dann wieder sehr harten, symmetrischen (Kampf-)Beziehungen beschreiben.“
Wir sollten im Coaching um diese familiensystemischen Aspekte wissen und sie aufmerksam im Blick haben. Sie treffen mit Sicherheit nicht auf alle Familien mit Suchtpräsenz zu. Jedoch sollten wir im weiteren Coachingverlauf in Erfahrung bringen, ob Max mit seinem Konsum und der Suchtpräsenz, jenes sensibelste Familienmitglied darstellt, das auf genau diese Dynamik (natürlich unbewußt) hinweist. Ich hatte etliche Familien, in denen es hochkontrolliert zugehen sollte, sich niemand regressive Bedürfnisse oder regressivgetöntes Erleben gestatten durfte und dann dieser Druck auf einem Max so extrem lastete, daß dieser mit dem regressiven Rückzug über Drogenkonsum dem einen Ausdruck verlieh.
(1) Die Metapher „der Tanz ums goldene Kalb“ stammt aus der biblischen Geschichte des Exodus, in der die Israeliten ein goldenes Kalb als Götzen anbeteten, während Moses auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote empfing. Der Tanz ums goldene Kalb bezieht sich daher auf eine sündhafte und heidnische Verehrung von materiellen Dingen oder Götzenbildern anstelle von spirituellen Werten und Prinzipien.
Heutzutage wird die Metapher oft verwendet, um eine übertriebene und materialistische Haltung oder eine Obsession mit Geld, Besitz und Erfolg zu beschreiben.
Sie kann auch auf eine Situation hinweisen, in der Menschen ihre moralischen oder ethischen Grundsätze aufgeben, um das, worum es eigentlich gehen sollte, abzuwehren oder zu vermeiden.
(2) Gunther Schmidt. Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. Heidelberg 2004. Abschnitt „Suchtverhalten als beziehungsgestaltende Intervention“ S. 332-333